Wege aus dem Hamsterrad der Pflege

Pflegende erleben ihre tägliche Arbeit teilweise wie im Hamsterrad. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Arbeitsverdichtung, in der Pflegende immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit erledigen, stellt die Integration von AbsolventInnen mit einem Berufsabschluss auf Bachelorniveau eine weitere Herausforderung dar. Irmela Gnass beschreibt mit der Pflegefachentwicklung einen Lösungsweg für eine gelingende Einbindung von akademisch gebildeten Pflegenden in die Pflegepraxis.

Pflegefachentwicklungen – Das Hamsterrad der Pflege von außen betrachtet

Pflegende erleben ihre tägliche Arbeit teilweise wie im Hamsterrad. Die Dynamik zeigt sich in der klinischen Pflegepraxis (ambulant, teil- und vollstationär) mit einer zunehmenden Verknappung von Personalressourcen (Bertelsmann Stiftung, 2018), die sich parallel zur gestiegenen Komplexität in der Versorgung von Pflegebedürftigen (Medizinischer Fortschritt, Multimorbidität, Zunahme chronischer Erkrankungen) entwickelt hat. Eine weitere Herausforderung zeigt sich in der klinischen Pflegepraxis mit der gesetzlichen Forderung „Das eigene Handeln auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen […] reflektieren und begründen.“ zu können (PflAPrV, 2018, 1594ff). Die Erkenntnisse vorwiegend aus der Pflegewissenschaft sollen evidence-basiert kritisch beurteilt und im partizipativen Ansatz mit dem pflegebedürftigen Menschen und seinen Angehörigen Anwendung finden (Behrens & Langer, 2016).

Vor diesem Hintergrund entwickelt sich eine zunehmende Arbeitsverdichtung, in der Pflegende immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit erleben, in der sich nicht selten Pausen reduzieren und im Pflegealltag schneller oder gar länger gearbeitet wird (DBfK, o. J.). Dies führt zu sinkender Zufriedenheit und Engagement, was sowohl berufliche wie auch private Konflikte mit sich bringen kann (ebd). Auswirkungen, die sich damit für die physische und psychische Gesundheit von Pflegenden ergeben sollen, obgleich der zunehmenden Relevanz an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.

Die Pflege als Profession bzw. Disziplin betrachtet hat im deutschsprachigen Raum in den letzten zwei Jahrhunderten, also seit Geburt von Florence Nightingale, viele Erfolge zu feiern. Um nur einige für den deutschsprachigen Raum aufzuzählen, sind z. B. generalisierte Ausbildung, Etablierung der akademischen Bildung (Bachelor, Master, Doktoratsniveau), Pflegekammern zu nennen.

Akademisierung in der klinischen Pflegepraxis

Eine weitere Schubkraft im Hamsterrad stellt die Integration von AbsolventInnen mit einem Berufsabschluss auf Bachelorniveau dar. Diese erfahren eine große Herausforderung in der Wahrnehmung „ihres“ Arbeitsplatzes in Abgrenzung zu „alten“ bestehen Qualifikationsebenen und der Einbindung in die klinische Pflegepraxis (Bauman & Kugler, 2019). Zum Teil haben sie bereits eine Fachweiterbildung für Intensiv-, psychiatrische oder onkologische Pflege und führen nach Abschluss des Studiums zum Bachelor ggf. die gleichen klinische praktischen Tätigkeiten durch bzw. haben Verantwortungen wie vor dem akademischen Abschluss. Diese Situation wird als unbefriedigend berichtet und führt nicht selten zum Verlassen der Pflege am PatientInnenbett.

Es zeigen sich in der Pflegepraxis viele Qualifizierungsmöglichkeiten, so auch Studiengänge. Die Mitarbeit dieser AbsolventInnen in der klinischen Versorgungspraxis ist aber bislang eher noch gering (Robert Bosch Stiftung, 2018). Lediglich 1% der AbsolventInnen verbleiben nach Abschluss des Studiums in der direkten PatientInnenversorgung (Tannen, Feuchtinger, Strohbücker & Kocks, 2016)

Diese weiteren Ausbildungsmöglichkeiten bringen Fragen mit sich, die z. B. das Zusammenwirken der verschiedenen Qualifikationen im Pflegeteam und die interprofessionelle Zusammenarbeit in den Blick nehmen. Damit einher geht auch, wie sich Berufs- und Karriereverläufe ausgestalten lassen. Die Entwicklung unterschiedlicher Modelle, die sowohl vertikale wie horizontale Entwicklungspotenziale aufzeigen, zielen auf ein durchlässiges Bildungssystem, welches vor den jeweiligen Rahmenbedingungen mit entsprechenden Veränderungsprozessen anzustoßen ist (Robert Bosch Stiftung, 2018b).

Internationale Vergleiche für den Einsatz von akademisch ausgebildeten Pflegenden auf Bachelor- und Masterniveau liegen vor (Lehmann&Ewers, 2019). Um zunächst die Einbindung von BachelorabsolventInnen in die klinische Versorgungspraxis zu gestalten, kann den nationalen wie internationalen Bestrebungen der Bedarf an vorgeschalteten Praxisanalysen oder gezielten Traineeprogrammen entnommen werden (Strobl et al. vor Einreichung). Oberstes Ziel sollte dabei sein, alle Mitarbeitenden in der pflegerischen Versorgungspraxis im klaren Qualifikationsmix einzusetzen, um letztlich den Menschen mit Pflegebedarf gerecht werden zu können.

Die Stiftungsallianz, bestehend aus Robert Bosch Stiftung, der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung Münz, veröffentlichte ein Positionspapier mit dem Titel „Pflege kann mehr!“ zur Zukunft der Pflege. Die Allianz warnt nicht nur vor der Absenkung der Bildungsstandards in der Pflege, sondern empfiehlt die Qualität in der Versorgung langfristig mit mehr Verantwortung für professionell Pflegende zu sichern. Der Ausbau der Akademisierung und eine stärkere Selbstverwaltung sind hierbei ebenfalls zentrale Empfehlungen (Stiftungsallianz, 2020).

Der Blick außerhalb des Hamsterrads

Die Abteilung Nursing Development Center des Instituts für Pflegewissenschaft und –praxis erarbeitet gemeinsam mit unterschiedlichen Kooperationspartnern Lösungswege für die Integration von akademisch gebildeten Pflegenden in dier Pflegepraxis um die professionelle Entwicklung für die direkte klinische pflegerische Patientenversorgung zu verankern. Weitere Details können der Veröffentlichung Gnass et al. 2020 entnommen werden. 

Mit der Einbindung z. B. der BachelorabsolventInnen in die Pflegepraxis geht aktuell der Diskurs einher, welche Aufgaben bzw. Tätigkeiten diese auf Grund ihrer Kompetenzen in der klinischen Pflegepraxis einbringen können und wie sich diese von oder mit bestehenden Personalstrukturen abgrenzen bzw. vereinen lassen.  Diese Herangehensweise setzt auch Zeichen, um dem Phänomen „Weg vom PatientInnenbett“ der BachelorabsolventInnen entgegen zu wirken.  

Für eine erfolgreiche Implementierung einer evidence-basierten Pflegepraxis, die auch mit akademisch ausgebildeten AbsolventInnen einhergeht, schaffen die Einrichtungen einen Weg der die Kultur des lebenslangen Lernens fördert.

Die Konsensfindung von der klinischen Erfahrung und den Erkenntnissen aus Pflegewissenschaft und -forschung werden zunehmend für die bestmögliche Versorgung entlang der Präferenzen der Menschen mit Pflegebedarf diskutiert. Die Offenheit zu erreichen, unterschiedliche Quellen des Wissens zu nutzen, diese im Team und für das Wohl des Einzelnen einzusetzen, sind hier wesentliche Elemente zum Erfolg.

Natürlich sind wie oben beschrieben die Voraussetzung für Veränderungen gegenwärtig in einem argen Spannungsfeld. Doch und gerade daher ist es umso notwendiger, Strukturen und Prozesse zu schaffen, die für Klarheit sorgen. Klarheit die auch bedeutet, dass in der Organisation ein Führungsstil gelebt wird, der klare Rollenbeschreibungen, eine offene Gesprächs- und Feedbackkultur fordert und schafft. Relevante Aspekte sind hier, z. B. emphatisches Verhalten und ein respektvoller Umgang. Dies fördert dann ein vertrauensvolles Mit- und Untereinander von Vorgesetzten und Mitarbeitenden.

Zum Beispiel zeugt die aktive Einbindung von Pflegenden in die Entwicklung des Qualifikationsmixes auf der jeweiligen Abteilung von Respekt der Personen und deren Fähigkeiten. Die Beteiligung fordert und fördert die kritische Reflektion zur eigenen Person in der Abteilung bzw. im Unternehmen. Für die vielfältigen Herausforderungen wären zukünftig auch die Entwicklung von Kennzahlen wichtig, die die Entscheidung für den Einsatz von Mitarbeitenden (Pflege und andere Gesundheitsberufe) unterstützen, um fach-, sach- und zeitgerecht den Anforderungen in der pflegerischen Versorgung begegnen zu können. Und hier kann und wird der Blick nicht alleinig bei der Berufsgruppe Pflege verbleiben.

International wie auch in den unterschiedlichen nationalen Bestrebungen zeigen sich „Wege aus dem Hamsterrad“ und sicherlich kann mit dem ersten Verlassen der „Blick aufs Ganze“ Klarheit schaffen für den nächsten Schritt. Dazumal die aktive Beteiligung der professionellen Pflege maßgeblich für die Qualität und Zukunftsfähigkeit der gesundheitlichen Versorgung sein wird, kann auch hier geschlossen werden mit:

"Der Weg zum Ziel beginnt mit dem ersten BLICK".

 

Literatur

Ass.-Prof. Dr. Irmela Gnass, MScN, BScN

Irmela Gnass ist Asisstenzprofessorin für Pflegewissenschaft mit Schwerpunkt Akutpflege und aktiv beteiligt im Nursing Development Center am Institut für Pflegewissenschaft und -praxis.