Ein Schlaganfall ist für die Patienten/innen und ihre Angehörigen ein einschneidendes Ereignis. Er trifft die Menschen unerwartet und verursacht oft starke Einschränkungen. Im Jahr 2015 erkrankten daran laut Robert-Koch Institut 270.000 Menschen in Deutschland. Ein Schlaganfall kann, je nach Lokalisation im Gehirn, unterschiedliche Symptome mit variierender Ausprägung verursachen. So sind Lähmungen, Sprach- und Schluckstörungen, aber auch Schwindel, Sehstörungen und eine Reihe anderer Symptome möglich. Trotz der Fortschritte in Therapie und Diagnostik ist der Schlaganfall die häufigste Ursache für erworbene Behinderungen im Erwachsenenalter.
Time is brain! Beim Schlaganfall zählt jede Sekunde, denn je schneller die Behandlung beginnt, desto weniger bleibende Behinderungen treten bei den Patienten/innen auf. Neben akuter Diagnostik und Therapie ist die - bereits mit der Aufnahme auf die Stroke Unit beginnende - Rehabilitation von großer Bedeutung für das Outcome der Betroffenen. Dies erfordert eine gute Zusammenarbeit im hochspezialisierten, multiprofessionellen Team, zu dem Mediziner/innen, Pflegende, Physiotherapeuten/innen, Logopäden/innen, Ergotherapeuten/innen und Sozialarbeiter/innen gehören.
Schlüsselprofession Pflege. Innerhalb des Stroke Teams kommt den Pflegenden eine Schlüsselrolle zu; sie sind Tag und Nacht präsent und haben einen engen Kontakt zu den Patienten/innen und ihren Angehörigen. Die Betreuung der Schlaganfallpatienten/innen erfordert von Pflegenden eine Vielzahl von Kompetenzen: Neben pflegetherapeutischen, anatomischen und medizinischen Kenntnissen und Fertigkeiten benötigen sie vielfältige Fähigkeiten in den Bereichen der Interaktion und Kommunikation. So gehören z.B. die Wahrnehmungsförderung während der Körperpflege, die Unterstützung bei alltäglichen Handlungen sowie die Förderung der Motivation und der Hoffnung von Betroffenen und ihren Angehörigen zum pflegerischen Alltag in der Stroke Unit.
Ein Beispiel aus dem Klinikalltag
Herr M. wird von seiner Ehefrau am Morgen des 24. Oktobers 2017 mit einer Lähmung der rechten Körperhälfte und einer massiven Sprachstörung vorgefunden. Sie verständigt sofort den Rettungsdienst, der Herrn M. gegen 9 Uhr in die Klinik einliefert. Bei der Aufnahme leidet er neben den oben genannten Symptomen auch unter einem so genannten „visuellen Neglect“ (der Vernachlässigung einer Körperhälfte, die sämtliche Sinne betreffen kann; in diesem Fall das Sehen). Bei der bildgebenden Diagnostik mittels CT zeigt sich ein langstreckiger Verschluss einer großen hirnversorgenden Arterie. Das Team beginnt sofort mit einer Thrombolyse, um das Blutgerinnsel aufzulösen. Mittels Thrombektomie wird es mittels eines Katheters direkt aus der Arterie entfernt. Im Anschluss an den Eingriff wird Herr M. auf die Intensivstation verlegt und einige Tage lang beatmet.
Nach fünf Tagen wird Herr M. auf die Stroke Unit verlegt. Da leidet er noch unter einer ausgeprägten Sprach- und Sprechstörung: Er kann zwar einzelne Wörter verstehen, aber nicht sprechen. Seine rechte Körperhälfte ist noch gelähmt, er kann nicht schlucken und er leidet an einer Apraxie, einer Werkzeugstörung, die ihn daran hindert, alltägliche Handlungen geordnet durchzuführen. Er ist somit bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens auf Unterstützung angewiesen.
Am Tag nach der Übernahme lerne ich Herrn M. kennen. Er kann einzelne Wörter verstehen und teilweise einfachen Aufforderungen nachkommen. Er ist ausreichend wach und ich unterstütze ihn dabei, sich in den Stuhl zu setzen. Nach sechs Tagen ist er also das erste Mal außerhalb des Bettes und freut sich darüber sichtlich, auch wenn dieser Ausflug nicht lange dauert. Unsere Kommunikation erfolgt aufgrund seiner sprachlichen Einschränkungen zum Teil nonverbal mittels Gestik, Mimik und über Berührungen.
Die folgenden zwei Wochen auf der Station sind geprägt vom morgendlichen Waschtraining mit den Pflegenden, den Therapieeinheiten mit den Logopäden/innen, den Ergotherapeuten/innen und den Physiotherapeuten/innen. Unzählige alltägliche Handlungen müssen wieder erlernt werden. Seine Familie, stets an seiner Seite, wird in die Therapien eingebunden. Die Information und Schulung erfolgt zum Großteil über uns Pflegende. Wie geht das mit dem gelähmten Arm beim Anziehen? Worauf muss man beim Essen achten? Was ist bei der Kommunikation zu berücksichtigen? Während dieser Zeit erlebten wir viele kleine und große Erfolge von Herrn M.; bei einigen Rückschlägen waren wir ebenfalls dabei.
Während seines Aufenthalts macht Herr M. großartige Fortschritte. Er beginnt, einzelne Wörter zu sprechen, sein Sprachverständnis bessert sich stark, er kann mit Hilfe einiger Tricks wieder Schlucken und einige Schritte laufen. Als er das erste Mal allein einen Schritt macht, strahlt er über das ganze Gesicht und ist zu Recht mächtig stolz. Nach rund zwei Wochen geht es endlich in die Rehabilitation. Er ist hochmotiviert, endlich wieder unabhängiger zu werden.
Der Gänsehautmoment: Am 24. Oktober 2018 habe ich Frühdienst; wir machen gerade Pause, als es klopft. Da steht Herr M. mit seiner Frau in der Tür - die Freude ist groß! Der ehemalige Patient ist den ganzen Weg vom Parkplatz zu uns gelaufen und er kann sprechen, wenn auch noch eingeschränkt. Ich habe ihn damals oft betreut und viele traurige und freudige Momente mit ihm geteilt und freue mich wirklich, ihn so zu sehen. Nach einer herzlichen Umarmung und vielen Fragen, wie es ihm und seiner Frau ergangen ist, schenkt er uns einen Herrnhuter-Stern. Dieser Stern hängt seither zur Weihnachtszeit immer in meinem Wohnzimmer. Und so denke ich von Zeit zu Zeit an ihn.
Pflege ist so viel mehr! Es sind diese Momente, die unseren Beruf so besonders machen. Wir sind Teil eines hochspezialisierten Teams, mit einem sehr weiten und abwechslungsreichen Aufgabenfeld. Aber es ist die Interaktion mit Patienten/innen und ihren Angehörigen, die Pflege wirklich ausmacht! Wir begleiten Menschen nach einem Schlaganfall während der akuten Phase der Erkrankung und ein Stück auf ihrem Weg der Rehabilitation. Genauso sind wir es auch, die ihnen zur Seite stehen, wenn die moderne Medizin an ihre Grenzen stößt und eine palliative Versorgung notwendig wird. Hier stehen die Verminderung von Leiden, die Symptomkontrolle und die Begleitung der Patienten/innen und ihrer Angehörigen im Fokus.