„Krankenpflege ist eine Kunst“

Florence Nightingale (1820 - 1910) gilt als „Begründerin der modernen Krankenpflege“ und setzte sich unermüdlich für höhere Ausbildungsstandards in der Krankenpflege ein. Melina Mokry-Döringer hat die wichtigsten Stationen aus dem bewegten Leben der Britin zusammengetragen.

Seit jeher ist die Geschichte der Pflege untrennbar mit der Geschichte der Medizin verbunden. Pflege wurde über Jahrhunderte als medizinischer Assistenzberuf gesehen und war männlich dominiert. Dabei hat man erwiesenermaßen bereits in der Frühzeit per fixer Rollenverteilung die Versorgung von Kranken und Verletzten in die Hände der Frauen gelegt. Florence Nightingale (geboren am 12. Mai 1820 in Florenz, gestorben am 13. August 1910 in London) trug wesentlich dazu bei, dass sich die Krankenpflege zu einem gesellschaftlich geachteten und anerkannten Beruf für Frauen entwickelte. Sie vertrat die Ansicht, dass es neben dem ärztlichen Wissen ein eigenständiges pflegerisches Wissen geben sollte.

Die Britin war nicht nur eine innovative Krankenschwester. Ihr Glaube, ihr unumstößlicher Wunsch, einen nachhaltigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten und nicht zuletzt ihr Faible für Statistiken machten sie zu einer wahren Reformerin. Der Weg zum Titel „Begründerin der modernen Krankenpflege“ war in jeder Hinsicht herausfordernd. 1859 erschien ihr erstes Buch: Notes on Nursing: What it is and What it is Not. Das Buch war als praktischer Leitfaden für jene gedacht, die pflegerische Tätigkeiten ausüben. Einige Zitate daraus lesen sich wie ein Leitfaden durch ihr bewegtes Leben:

 „Wenn man mit Flügeln geboren wird, sollte man alles dazutun, sie zum Fliegen zu benutzen.“

William Edward Nightingale war ein wohlhabender Mann, der seinen Reichtum von seinem Onkel geerbt hatte. Frances Smith war sechs Jahre älter als er, entstammte einer politisch liberalen Familie und war bereits verlobt – mit einem anderen. 1818 heirateten die beiden dennoch und traten kurz danach ihre Hochzeitsreise an, die sie durch Italien führte. Ihr erstes Kind, eine Tochter, wurde im Jahre 1819 in Neapel geboren und wurde auf den Namen Parthenope, nach der griechischen Schutzgöttin Neapels, benannt. Ihre Reise führte die kleine Familie weiter nach Florenz, wo am 12. Mai 1820 das zweites Mädchen auf die Welt kam. Auch der Name dieses Kindes lehnte sich an seinen Geburtsort an – und so wurde es am 4. Juli 1820 auf den Namen Florence getauft.

„Gäbe es niemanden, der unzufrieden wäre mit dem, was er hat, würde die Welt niemals besser werden.“

Wieder zurück in der Heimat England, verbrachten die Schwestern Flo und Pop – wie sie von ihren Eltern gerufen wurden – eine sorglose und behütete Kindheit. Unterrichtet wurden beide Mädchen vom Vater: vorrangig in Sprachen sowie Geschichte und Philosophie, denn Fächer wie Mathematik, Physik und Chemie betrachtete er als unwichtig im Leben seiner Töchter. Schon zu dieser Zeit war Florence unzufrieden mit ihrem Leben. Sie war stur, dickköpfig, unglücklich – aber leidenschaftlich. Flo konnte dem sorglosen Leben der reichen Leute nichts abgewinnen, sie strebte danach, etwas gesellschaftlich Bedeutungsvolles zu tun und vertraute sich vorerst nur ihrem Tagebuch an: „Am 7. Februar 1837 hat Gott zu mir gesprochen und mich in seine Dienste berufen.“

„Wahre Religion ist, keinen anderen Willen zu haben als den Willen Gottes.“

Florence fühlte sich also zu einem göttlichen Dienst berufen und zog in einen langjährigen Krieg auf zwei Fronten: Den ersten führte sie mit sich selbst, bis feststand, sich der Krankenpflege widmen zu wollen. Die zweite Schlacht trug sie mit ihrer Familie aus, die sich mit aller Kraft gegen die Berufswünsche der Jüngsten sträubte. Kaum verwunderlich, denn der Pflegeberuf galt damals als Anhäufung ungebildeter Alkoholiker. Krankenhäuser verband man mit Schmutz, Elend und hohen Sterberaten, verursacht durch unmoralisches, unausgebildetes Personal, das entweder aus Verzweiflung trank oder aufgrund der dauerhaften Trunkenheit verzweifelte. Florence begann dennoch, den Menschen in ihrem Umfeld zu helfen, sie zu pflegen und damit die Auswirkungen ihrer katastrophalen Lebensumstände zu mildern. Sie hatte ihre Bestimmung gefunden.

„Um Gottes Gedanken zu verstehen, müssen wir Statistiken studieren, denn diesesind die Maßeinheiten, die seine Absichten veranschaulichen.“

Etwa zur selben Zeit erhielt Florence den bisher vernachlässigten Unterricht in Mathematik und entdeckte sehr bald, dass sie mit Zahlen und Daten ihre Aussagen in völlig neue Dimensionen heben konnte. Sie las einschlägige veröffentlichte Statistiken, interpretierte sie und wurde innerhalb kurzer Zeit zu einer Expertin für Krankenhäuser.  Aus dem gesammelten Datenmaterial leitete sie erste Reformen ab, nicht zuletzt die Forderung für eine „richtige“ Ausbildung des Pflegepersonals.

„Krankenpflege ist keine Ferienarbeit. Sie ist eine Kunst und fordert, wenn sie Kunst werden soll, eine ebenso große Hingabe, eine ebenso große Vorbereitung, wie das Werk eines Malers oder Bildhauers. Denn was bedeutet die Arbeit an toterLeinwand oder kaltem Marmor im Vergleich zu der am lebendigen Körper, demTempel für den Geist Gottes?“

Im Juni 1853 zogen die Briten in den Krimkrieg, der für Florence Nightingale alles veränderte und ihren Reformvorschlägen zum großen Durchbruch verhalf: Sidney Herbert, enger Freund und damaliger Kriegsminister, bat Florence Nightingale als Leiterin einer Gruppe von Pflegerinnen nach Scutari (heute ein Stadtteil Istanbuls) zu gehen, um dort verwundete und kranke britische Soldaten zu betreuen, die aufgrund der katastrophalen Zustände in Scharen starben. Florence wäre nicht Florence gewesen, hätte sie nicht sofort eine eigene Pflegeabteilung organisiert, in der sie die Hygieneprobleme und damit die Sterblichkeitsrate in den Griff bekommen wollte. Was ihr auch gelang.  Bei ihrer Rückkehr aus dem Krieg war sie 36 Jahre alt und zu einer Legende geworden. Schiffe segelten unter ihrem Namen, es wurden Lieder und Gedichte über sie geschrieben. Florence hatte mir ihrem selbst angeeigneten Wissen und ihrem Mut zur Innovation die Krankenpflege nicht nur neu organisiert, sondern schlichtweg reformiert.

„Herz, du verlierst sehr viel, wenn du nichts aushältst!“

Der Kriegsdienst hatte allerdings tiefe Spuren hinterlassen: Florence erkrankte ernsthaft und benötigte nun selbst Pflege, die durch ihre Tante Mai übernommen wurde. Den Rest der Familie wollte sie nicht sehen, wandte sich von Schwester und Eltern ab und rechnete damit, die nächsten Wochen nicht zu überleben. Zur schlechten körperlichen Verfassung kam auch die Frustration, dass die Umsetzung ihrer Reformen schleppend bis gar nicht vorwärtskam. Hier zumindest fand sie große Unterstützung in ihrem Freund Sidney Herbert, der eine statistische sowie eine medizinische Abteilung in der Armee einrichtete und einen „Annual Report on the Health of the Army“ einführte. Sein Tod im Jahre 1861 war ein schwerer Rückschlag in Florence‘ Genesung und auch die nächsten Jahre waren geprägt von Verlust. 1874 starb ihr Vater, sechs Jahre später ihre Mutter. An ihrem 70. Geburtstag, dem 12. Mai 1890, starb ihre Schwester Parthenope plötzlich und unerwartet.  Familie und Freunde – Florence überlebte sie alle und stürzte in eine tiefe Lebenskrise. Sie blieb für sich und verließ kaum noch ihr Schlafzimmer. Aber auch wenn der Körper schwach und krank war, ihr Geist war rege und aktiv. Auch vom Krankenbett brachte sie sich aktiv in öffentliche Diskussionen ein und vertrat ihre Ansichten.

„Ich führe meinen Erfolg auf Folgendes zurück: ich habe mich nie entschuldigt noch eine Entschuldigung angenommen.“

Florence Nightingale war schon zu Lebzeiten zu einer weltbekannten Legende geworden. 1907 wurde ihr als erste Frau der „Order of Merit“ verliehen. Sie hat das britische Sanitätswesen reformiert, die Armenpflege wesentlich verbessert, hat die Sterblichkeitsrate unter den britischen Soldaten massiv gesenkt, die Gesundheitsfürsorge für Britisch-Indien durchgesetzt und mit dem Nightingale´schen System ein erstes Ausbildungsmodell für die Pflege eingeführt.

„Besser, zehn Mal zu sterben, in der Brandung stehend, den Weg in eine neue Welt anzukündigen, als müßig am Ufer zu stehen.“

Ihr Nachlass an Briefen, Kopien, Manuskripten, Tagebüchern und Notizen füllt fast zweihundert Bände – ihre Inschrift am Familiengrab umfasst nur eine einzige Zeile: „F.N. Born 1820. Died 1910“.

Mag. Melina Mokry-Döringer

Melina Mokry-Döringer ist Assistentin des Vorstands am Insitut für Pflegewissenschaft und -praxis.