Pflege im Zeichen militärischer Konflikte

Als Pflegefachfrau oder -mann bei der Bundeswehr zu arbeiten, birgt für viele Pflegende die Möglichkeit, internationale Einsätze wahrnehmen zu können. Motiviert durch eine Brise Abenteuerlust, sollte sich jede*r bei dieser Entscheidung darüber im Klaren sein, dass sie oder er einige der eigenen Grenzen kennen lernen wird – beruflich und persönlich. Nadine Schüßler führte dazu ein Interview mit Jan Teichert, Krankenpfleger und Hauptfeldwebel der deutschen Bundeswehr.

Pflegerische Karriere im Heer

Jan Teichert begann seine Ausbildung zum Sanitäter im Rahmen des verpflichtenden Wehrdienstes, den er bei der Marine absolvierte. Diese Phase erlebte er als Zeit der Beruf(ungs-)findung, qualifizierte sich zunächst zum Sanitätsunteroffizier und zum Taucherarztgehilfen auf einem Flottendienstboot in Deutschland. Als der gebürtige Mecklenburger, motiviert von einer ärztlichen Kollegin auf dem Flottendienstboot, die Krankenpflegeausbildung am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm absolviert, beginnt seine langjährige Karriere als Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin bei der Bundeswehr. Heute arbeitet er als Schulleiter an der Berufsfachschule fūr Pflege RKH Kliniken Gmbh Ludwigsburg.

Jan Teicherts erster Auslandseinsatz nach der Pflegeausbildung führte ihn nach Bosnien-Herzegowina, dann arbeitete er zwei Jahre lang in der Krankenpflege der Onkologie im Ulmer Bundeswehrkrankenhaus. Der Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege absolvierte jedes Jahr einen Auslandseinsatz.

Seekrank auf einer Fregatte

Afghanistan, Mazedonien, Bosnien: Die Orte seiner Einsätze sind Teil globaler politischer Nachrichten. Jan schildert die Strukturen, in welchen er in diesen Gebieten gepflegt hat: Zeigte sich in Bosnien noch eine Ähnlichkeit zu einer „richtigen“ Klinik in einem alten Gebäude der dortigen Armee, waren es im mobilen Einsatz in Afghanistan manchmal Zelte oder fahrbare Klinik- bzw.  Intensiveinheiten in Containern, die vor Ort schnell aufgebaut werden können. Die Klinik in Masar-e Scharif in Afghanistan wies höchsten medizinischen Standard auf und auch „die nötigen Schutzeinrichtungen“, was neben der Bombensicherheit auch Giftgas-Schutz-Vorrichtungen bedeutet.  Der Einsatz auf einer Militärfregatte war leider nicht so seine Sache, denn im dunklen Rumpf des Schiffes wurde er trotz seiner Vorerfahrungen auf dem Flottendienstboot seekrank.

Multiprofessionelle Zusammenarbeit

Zu Auslandseinsätzen entsendet die deutsche Bundeswehr oft „Tandems“ aus Medizin und Pflege – ein sinnvolles Konzept, wie Jan berichtet, denn diese duale Beziehung stabilisiert die Zuständigkeiten im Einsatz und erlaubt es, einander blind zu vertrauen. In jeder Notfallsituation kommt es auf eine schnelle, eindeutige und unmittelbar erfolgreiche Kommunikation an. Im militärischen Kontext steht hier der Begriff Befehlskette im Raum, doch diese spielt am Bett von Verletzten im Bundeswehreinsatz eine untergeordnete Rolle. Unter allen Dienstgraden und damit auch Berufsgruppen herrscht das kollegiale „Du“, Führungsrollen werden klar zugewiesen und alle orientieren sich daran.

Dennoch stehe einer akademischen Qualifizierung von grundständig arbeitenden Pflegenden in der Bundeswehr bisher die strenge Hierarchie zwischen Medizin und Pflege im Weg, schätzt Jan ein. Während Mediziner*innen durch ihr Studium einen Offiziers-Dienstgrad erlangen, können Pflegende als „Nicht-Akademisierte“ diesen nicht erreichen. Hätte Jan Pflege studiert, wie seine akademisch ausgebildeten Pflegekolleg*innen ausländischer Armeen, wäre er auf dem gleichen Dienstgrad wie ein Arzt oder eine Ärztin.

Höhe der „Rules“

Das Aufkommen Verletzter und der Standard der Versorgung sind in internationalen Einsätzen in unterschiedlichen Rules eingeteilt, wobei das Spektrum hier von der „knallharten Erstversorgung“ bis zur umfänglicheren Operation und Intensivversorgung reicht. Jan erlebte als Sanitätseinheitsleitung in Bosnien-Herzegowina in den 90er-Jahren beispielsweise nur wenige pflegerisch-medizinische Herausforderungen, da es sich dort vor allem um so genannte Leatherman-Verletzungen (Schnitt- oder Stichverletzungen) und Folgen von Alkohol-Exzessen handelte. Im Gegensatz dazu wirkte Jan in der Klinik von Masar-e Scharif in Afghanistan in der Versorgung mit und erlebte, wie neurochirurgische Operationen vor Ort durchgeführt wurden und massive Aufkommen von Verletztenzahlen in kürzester Zeit versorgt werden mussten.

Traumatische Erlebnisse

Triage, Stabilisieren oder Operieren: In dieser Einfachheit lassen sich viele pflegerische Aufgaben im militärischen Einsatz beschreiben. Doch die Anforderungen in den verschiedenen Einsätzen, die Jan erlebt hat, unterscheiden sich massiv. Während in Mazedonien und Bosnien die meisten Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren, stiegen im Einsatz in Afghanistan die medizinisch-fachlichen Ansprüche. Hier versorgte er Opfer von Anschlägen und erlebte das Grauen von Massen an Verletzten und Toten. Unter den schwierigen Bedingungen erfuhr das Vertrauensverhältnis zwischen den an der Versorgung Beteiligten eine massive Tragweite und tragende Wirkung.

Und mit im Gepäck: Angst. Ein Gefühl, das er inmitten des Geschehens verdrängen musste, um funktionieren zu können, das danach aber zurückkehrte. Die Verarbeitung dieser Gefühle hat erst nach seiner aktiven Bundeswehrzeit begonnen und ist bis heute nicht abgeschlossen. Jan Teichert befindet sich in einer Therapie zum Posttraumatischen Stress-Syndrom. Doch er stellt fest, dass nicht nur die militärische Laufbahn diese Art der Belastung mit sich bringt. Auch in der Pflege wird es immer wahrscheinlicher, sich psychische Traumata zuzuziehen – dafür ist nicht unbedingt ein Einsatz im Kriegsgebiet nötig.

Humanitäre Anliegen

Doch zum Glück werden seine Auslandseinsätze nicht nur durch belastende Erinnerungen geprägt, die Nähe zur lokalen Bevölkerung bleibt ihm positiv im Gedächtnis. Je weniger intensiv die Einsätze waren, desto offener konnten die Hilfskräfte für die gesundheitlichen Belange der Menschen vor Ort sein. So waren die Versorgung von Kindern mit Brandverletzungen, entstanden durch Unfälle mit offenem Feuer und nicht durch Kampfhandlungen, und die Linderung der dadurch verursachten schweren Schmerzen sinnstiftend. Einen Auslandseinsatz in Krisengebieten würde Jan heute eher in einer NGO, wie Ärzt*innen ohne Grenzen, absolvieren oder auf einem Schiff der amerikanischen Armee zur humanitären Versorgung.

Skills-Mix im Einsatz

Aus Jans Sicht sind im Auslandseinsatz vor allem die Kompetenzen in der chirurgischen Notfallpflege gefordert, darüber hinaus die assistierenden Tätigkeiten bei Operationen und Notfallmaßnahmen. Wichtig sind auch die Triagen bei ankommenden Verletzten größerer Zahl und das unmittelbare „Entlassungsmanagement“, was vor allem bedeutet, den Rücktransport zu planen und zu organisieren. Da schon im nächsten Moment weitere Verletzte nachkommen könnten, ist es grundlegend, die Patient*innen schnellstmöglich zu versorgen, die Entlassung abzuwickeln bzw. den Anschlussprozess für die Weiterversorgung zu organisieren. Das sind Kompetenzen, die Jan Teichert dank seines Werdegangs erworben hat. Dass pflegerische Kolleg*innen aus Skandinavien oder den Vereinigten Staaten in der Klinik in Masar-e Scharif einen sehr viel größeren Kompetenz- und Zuständigkeitsbereich – insbesondere in der medizinischen Diagnostik und Therapie – wahrnehmen, macht ihn ein wenig neidisch. Dies liegt auch daran, dass diese den Offiziersgrad in der militärischen Hierarchie einnehmen, was einem Pflegefachmann in der Bundeswehr nicht möglich ist.

Telemedizin als Grundvoraussetzung

In der militärischen Klinik im Ausland funktioniert Telemedizin schon seit Jahrzehnten und wird ständig verbessert: Können Verletzungen nicht unmittelbar beurteilt werden oder liegen unklare Symptome vor, werden CT- oder Röntgenbilder an Expert*innen in aller Welt gesendet, die ihr diagnostisches Urteil über eine ständig stehende Standleitung abgeben. Es gilt zu entscheiden, ob stabilisiert und transportiert werden kann oder vor Ort interveniert werden muss. Ein Prozess, der für die zivile Notfall- und Krankenversorgung in vielen Gebieten Europas als Vorlage dienen könnte.

Mögliche ethische Konflikte   

Pflege bei einer Armee bedeutet nicht generell, eine unpolitische/unparteiische Krankenversorgung auszuführen. Doch militärische Armeen sind verpflichtet, auch Opfer der gegnerischen Partei bzw. Armee medizinisch-pflegerisch zu versorgen. Es kann also passieren, dass ein Attentäter nebenan beatmet wird und gerettet werden kann, während der soeben an den Folgen des Attentates verstorbene Kamerad vor einem liegt. Doch war der Täter wirklich Täter? Zur Frage nach der Verantwortung wirft Jan Teichert ein: „Man muss immer bedenken, warum wir eigentlich da unten sind.“  Diese Art der Herausforderung kennen wenige Pflegende in ihrem beruflichen Kontext: Dass es eine „andere Seite“ gibt, also gegnerische Gruppierungen oder Armeen, die es auf die eigene Vernichtung abgesehen hat. Doch auch dies gehört zu den Aufgaben als Pflegefachfrau oder -mann beim Militär: auch der anderen Seite zu helfen, wenn es nötig ist.

Selbstpflegekompetenz als Voraussetzung

Ein Job mit ständiger Bedrohungslage und potenzieller Konfrontation mit (ethischen) Konflikten, kann nur unter folgender Voraussetzung ohne nachhaltigen Schaden durchgehalten werden: Es muss die Kompetenz zur Selbstpflege „frei nach Orem“ sehr gut ausgeprägt sein. Fragwürdige Bewältigungsstrategien haben leider auch in Jans Laufbahn in ungesundes Verhalten gemündet, zum Beispiel in Alkoholismus oder krankhaftes Sporttreiben, zum Teil noch am Einsatzort selbst. Wichtige Aspekte in der Vor- und Nachbereitung von Auslandseinsätzen sind die frühzeitige Erarbeitung von Resilienz-Strategien, der Austausch mit Kamerad*innen oder zivilen Personen und das bewusste Kennenlernen und Respektieren der eigenen Grenzen.

Denn es ist ein fordernder, aber facettenreicher Job, in militärischen Einsatzgebieten zu pflegen. Die Souvenirs sind Erfahrungen aller Couleur, deren Nachhaltigkeit vorher oft nicht einzuschätzen ist und die nicht unbedingt auf dem Kaminsims Platz finden. Metaphorisch gesprochen kann eine persönliche Zufriedenheit über Gelerntes, Geleistetes und Bewältigtes entdeckt werden – ohne dabei patriotisch oder der Sache gegenüber unkritisch zu sein.


Pflegeberufe in Bundeswehr oder Bundesheer

Bei der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland werden Pflegefachfrauen oder -männer in der dreijährigen Ausbildung entweder in der militärischen Laufbahn der Feldwebel oder zivil in einem der Bundeswehrkrankenhäuser ausgebildet. Eine akademische Weiterentwicklung ist in der Folge möglich, jedoch an zivilen Hochschulen mit finanzieller Unterstützung.

Das österreichische Bundesheer beschäftigt ebenfalls Krankenpfleger*innen. Ein Bachelorstudium zur Krankenpflege ist im Bundesheer aktuell leider nicht möglich, jedoch können sich Interessierte dort zum/zur Sanitäter*in oder noch bis 2023 zur/zum diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger*in ausbilden lassen.

 

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Diplom Pflegewirt ( FH), M.A. Jan Teichert

Jan Teichert war als ausgebildeter Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin sowie Rettungsassistent von 1994 bis 2013 bei der deutschen Bundeswehr beschäftigt.
Aktuell ist er Schulleiter der RKH Berufsschule für Pflege Ludwigsburg und absolviert derzeit das PhD-Studium Nursing and Allied Health Sciences an der Paracelsus Medizinsichen Privatuniversität Salzburg.

Nadine Schüßler, MSc

Nadine Schüßler , Master of Science der Pflegewissenschaft und Gesundheits- und Krankenschwester, hat nach einer PMU-Pause von 2014 bis 2018 den Weg in die wissenschaftliche Mitarbeiterschaft am Institut für Pflegewissenschaft und -praxis zurückgefunden. Dort ist sie im Projekt pabee tätig, in dem eine smartphone-App für Menschen rund um eine Hüft- oder Knieendoprothese entwickelt und evaluiert wird. Sie befasst sich auch in der Arbeit für das Doctor of Philosophy (Ph.D.) Programm Nursing & Allied Health Sciences mit der Erfahrung Älterer im Umgang mit eHealth. Daneben kümmert sie sich um Themen des pflegerischen Schmerzmanagements, Schmerzen bei alten chronisch kranken Menschen und bei Menschen mit komplexer Behinderung.