Palliative Versorgung muslimischer Patient*innen

Die Versorgung von Patient*innen muslimischen Glaubens am Lebensende ist ein wichtiger Bestandteil im pflegerischen Alltag. Tina Rikalo stellt in einer Zusammenschau von sieben Studien dar, welchen Herausforderungen Pflegekräfte im Akutkrankenhaus gegenüber stehen und was transkulturelle Pflegekompetenz eigentlich ausmacht.

Bei einem Viertel der Bevölkerung Deutschlands handelt es sich um Menschen mit einem Migrationshintergrund, davon sind ca. 4,7 Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Die Versorgung von Patient*innen muslimischen Glaubens am Lebensende ist ein wichtiger Bestandteil eines pflegerischen Alltags und der Prozess sollte auf die Bedürfnisse bestmöglich angepasst werden. Da es nicht nur in Deutschland sondern auch in Österreich immer mehr Menschen muslimischen Glaubens gibt, wird diesem Thema noch mehr Wichtigkeit beigemessen. Gülal (2012) schreibt in seinem Artikel, dass jeder Patient ein Individuum mit eigener Geschichte, Persönlichkeit und Weltanschauung ist. Somit gibt es keine generische „Checkliste“ für den Umgang mit muslimischen Patient*innen.

Pflegekräfte beabsichtigen generell eine patientenorientierte Pflege umzusetzen, die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen zu erkennen und die Pflege daran zu orientieren. Im Pflegeberufsgesetz (PflBG) sind die Ziele der pflegerischen Ausbildung aufgelistet und aufgrund der individuellen Zielsetzungen und Anforderungen im PflBG besteht die Notwendigkeit der transkulturellen bzw. kultursensiblen Pflege und der transkulturellen Pflegekompetenz.

Die Pflegetheoretikerin Madeleine Leininger hat sich mit der transkulturellen Pflege beschäftigt und konstatiert, dass eine kulturkongruente oder positive professionelle Pflege nur dadurch zu gewährleisten ist, dass die Pflegenden die individuellen, gruppenspezifischen, familiären und gemeinschaftlichen kulturspezifischen Werte, Ausdrucksformen und Muster der Fürsorge kennen und diese für die betroffenen Menschen auf eine angemessene und sinnvolle Weise umsetzen. Um die Ziele zu erfüllen, müssen die Pflegenden einiges von anderen Kulturen wissen und verstehen.

Die Juristin, Sozialanthropologin und Pflegefachfrau Dagmar Domenig hat den Begriff der transkulturellen Kompetenz definiert und diese Definition in Bezug auf Migrant*innen konzipiert. Sie fordert, dass kompetente Fachpersonen fähig sein müssen die Bedürfnisse von Menschen mit einem anderen Kulturhintergrund in besonderen Situationen zu verstehen und keine Neigung zur Stereotypisierung haben dürfen.

Laut Al-Masri und Walter (2013) sind Muslime heute ein fester Bestandteil der europäischen Gesellschaft und so werden für alle im Gesundheitswesen Tätigen das Verständnis für islamische Grundlagen des Heilens und Vorstellung zu Schöpfung, Seele und Tod in Koran und Sunna immens wichtig. Da die Anzahl der Menschen mit einem Migrationshintergrund so hoch ist, gehört somit die Begegnung mit Patient*innen aus fremden Kulturen zur alltäglichen Erfrahrung in der Pflege.

Die Literatur hat gezeigt, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund bei zwar gegebenem Bedarf Gesundheitsleistungen aufgrund sprachlicher und kultureller Probleme oder infolge von Diskriminierungserfahrungen seltener in Anspruch nehmen. Laut Ilkilic (2007) entstehen durch sprachliche und kulturelle Barrieren zahlreiche Schwierigkeiten und solche Situationen stellen das pflegerische Entscheiden und Handeln oft vor neue Herausforderungen. Je höher die Barrieren zwischen den Patient*innen und den Pflegekräften sind, desto komplizierter werden die Probleme in der pflegerischen und medizinischen Praxis. Die führt meist zur Überforderung des Pflegepersonals und er erklärt, dass es sich bei der transkulturellen Kompetenz laut ihm um Einstellungen, Motivation und Interessen handelt, die sich in Unvoreingenommenheit und Verzicht auf negative Bewertungen, in Akzeptant kultureller Unterschiede, Höflichkeit, Freundlichkeit, Geduld und Dialogfähigkeit ausdrücken.

Abgesehen davon spielen Pflegekräfte in der palliativen Versorgung von Patient*innen eine sehr bedeutende Rolle. Das primäre Ziel der Pflegekräfte in der palliativen Pflege ist es Leiden zu lindern. Pflegepersonen benötigen für die Erfüllung der Aufgaben in der palliativen Versorgung Fach-, Sozial- und Selbstkompetenz - ethische Kompetenz im Sinne von Empathie und Menschlichkeit haben zudem große Bedeutung. Die Kommunikation mit den Patient*innen spielt eine entscheidenden Rolle (Palliativpflege Springer, 2019).

Die Barrieren -  eine Zusammenfassung von sieben Studien

Welche Barrieren gibt es im Akutkrankenhaus, die die adäquate Begleitung von Menschen muslimischen Glaubens im Sterbeprozess erschweren und wie können Pflegekräfte im Akutkrankenhaus den Pflegeprozess an die Bedürfnisse muslimischer Patient*innen in der palliativen Versorgung anpassen? Für die Suche nach den Antworten wurden sieben Studien verwendet und dabei einige interessante Erkenntnisse und Möglichkeiten für die Beantwortung gewonnen:

In der Studie von Leong et al. (2016) wurde eine pädagogische Intervention durch einen muslimischen Kaplan durchgeführt, um das Wissen bezüglich der islamischen Lehre in Bezug auf die Pflege am Lebensende zu erhöhen. Die theoretische Unterrichtsmethode hat sich als sehr hilfreich und erfolgreich erwiesen, sowohl bei dem Pflegepersonal als auch bei den Ärzt*innen.

In der Studie von Green et al. (2018) wurde herausgefunden, dass die Festlegung der Einsatzregeln für die Diskussion von Diagnose und Prognose wichtig sind. Außerdem wurde festgestellt, dass Themen wie die Herausforderung der Sprache zum Patient*innenverständnis, zum Verstehen der Migrationserfahrungen, um Vertrauen aufzubauen und die wichtige Rolle der Familie unter Berücksichtigung der Patient*innenpräferenzen von großer Bedeutung sind, um die Bedürfnisse muslimischer Patient*innen zu verstehen und auch zu ermitteln, auf welche Barrieren die Pflegekräfte im Akutkrankenhaus stoßen.

In der Studie von Borhani, Hosseini & Abbaszadeh (2013) wurden die Bedürfnisse der Sterbenden und die Barrieren aus Sicht von Intensivpfleger*innen erforscht. Der Wert der Teilnahme an der Pflege am Lebensende und der Respekt gegenüber sterbenden Patient*innen zeigte sich in der Studie als ein wissenschaftlich bedeutsamer Aspekt.

Die Studie von Tayeb et al. (2010) hatte zum Ziel, die Zukunft der Gesundheit und Pflege älterer Menschen in Bezug auf die Wahrnehmung des „guten Todes“ zu überprüfen, um ihre Gültigkeit für muslimische Patient*innen zu bestimmen, neue Perspektiven zu identifizieren und zu beschreiben. Es wurden einige Aspekte erfasst, die in der westlichen Literatur nicht erwähnt wurden, die aber wesentlich für Muslim*as sind. Diese Aspekte wurden in drei Hauptbereiche zusammengefasst, zuerst der religiöse Glaube und Überzeugungen, dann das Selbstwertgefühl und Körperbild und das Anliegen der Familiensicherheit.

In der Studie von Schrank et al. (2016) versuchten die Autor*innen zu verstehen, wie Mitarbeiter*innen in multiprofessionellen Gesundheitsteams in der Krebsbehandlung Erfahrungen mit Patient*innen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen sammeln. Es wurden einige kulturspezifische Unterschiede identifiziert. Zum einen die Sozialstruktur, wie bei der Studie von Green et al. (2018) die wichtige Rolle der Familie und große Besuchergruppen. Die Sprachbarriere und die kulturspezifischen Begriffe waren auch ein großes Thema. Weitere Themen, die Schrank et al. (2016) herausgefunden haben, sind Ausdrücke von Emotionen und Symptomen. Es wurde wahrgenommen, dass Patient*innen mit einem Migrationshintergrund ihre Gefühle intensiver, ausdrucksvoller und emotionaler zeigen. Des Weiteren wurden Traditionen und Rituale, die Einstellung zum Tod und zum Ende die Möglichkeit für kultursensible Pflege angeführt. Der Einsatz professioneller Dolmetscher*innen wurde als sehr wichtig empfunden. Zu den Ergebnissen zählt auch das Thema des Teambuildings als Intervention, um das Verständnis für verschiedene Kulturen zu fördern.

In der Studie von Jansky, Owusu-Boakye & Nauck (2019) wurde bezüglich dem Zugang zur Palliativversorgung herausgefunden, dass vielen Migrant*innen die Informationen über das Gesundheitssystem fehlen und sie Probleme haben, sich darin zurechtzufinden. Hier wurde auch die Kommunikations- und Sprachbarriere angesprochen, womit die Forscher*innen darauf hinwiesen, dass Sprachbarrieren den Informationsfluss behindern können und dass Patient*innen deswegen von der optimalen Versorgung ausgeschlossen werden können. Als Lösungsvorschläge nannten die Autor*innen die Verbreitung von Informationen zur spezialisierten Palliativversorgung über geeignete Kanäle, den Einsatz von Dolmetscher*innen, das Trainieren kultureller Kompetenz und die Förderung interkultureller Teams in Palliativbereichen.

Es wurden Barrieren im Akutkrankenhaus, die sich auf die adäquate Begleitung im Sterbeprozess auswirken können, erforscht und identifiziert und es liegen auch Ideen vor, wie der Pflegeprozess an die Bedürfnisse in der palliativen Versorgung angepasst werden kann. Die Ergebnisse lassen sich auf die Praxis zurückführen, sind realistisch von dort ermittelt und an den Teilnehmer*innen der Studien orientiert. Die Ideen bzw. Vorschläge für die Anwendung in der Praxis sind ebenfalls realistisch und im praktischen Alltag umsetzbar.

Für die Praxis wäre sinnvoll, die kulturelle Kompetenz zu trainieren und interkulturelle Teamarbeit zu fördern. Für die Forschung ist es wichtig, bei dem Thema zu bleiben, es weiterzuentwickeln und weitere Aspekte und Möglichkeiten zu finden, wie der Pflegeprozess an die Bedürfnisse muslimischer Patient*innen in der palliativen Versorgung angepasst werden kann.

 

Die herangezogene Literatur kann bei der Verfasserin (tina.rikalo@alumni.pmu.ac.at) angefordert werden.

Tina Rikalo, BScN

Tina Rikalo hat 2020 den Bachelorstudiengang 2in1-Modell Pflege an der PMU in Salzburg erfolgreich absolviert. Dabei hat sie die Abschlüsse zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin und Pflegewissenschafterin (BScN) erworben. Sie arbeitet am Klinikum Bamberg.