Migration - Barriere der Gesundheitsversorgung?

Der Prozess der Migration nimmt nicht nur auf die Politik und Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland Einfluss, sondern auch auf das Gesundheitswesen. Lena Geldner über Barrieren in der Versorgung für Menschen mit Migrationshintergrund und Herausforderungen für die Leistungserbringer.

 

Migration in Deutschland

„Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel. Unsere Gesellschaft wird weiter vielfältiger werden, das wird auch anstrengend, mitunter schmerzhaft sein. Unser Zusammenleben muss täglich neu ausgehandelt werden. Es liegt an uns, ob wir darin dennoch eher die Chancen sehen wollen oder die Schwierigkeiten. […]“ (Özoğuz, 2015; zitiert nach Schelmenstreich, ohne Datum)

Aydan Özoğuz, welche im Zeitraum von 2013 bis 2018 deutsche Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration war, spricht mit dieser Aussage das Thema der Migration an. Darunter wird laut einer Definition des Robert Koch Instituts „die vorübergehende oder dauerhafte Verlegung des Wohnortes einer Person in ein anderes Land verstanden“. Die hohe Relevanz dieser Thematik lässt sich durch den großen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung in Deutschland erklären. Demnach hatten im Jahr 2018 etwa 25 Prozent aller Menschen, welche in der Bundesrepublik gelebt haben, einen Migrationshintergrund. In absoluten Zahlen hatten also circa 20,8 Millionen Personen der insgesamt etwa 83 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Vergleicht man diese Zahlen mit den statistischen Erhebungen von 2017, konnte außerdem ein Zuwachs von etwa 2,5 %, also 500.000 Personen vermerkt werden.

Beeinflussung des Gesundheitswesens durch Migration

Der Prozess der Migration nimmt nicht nur auf die Politik und Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland Einfluss, sondern auch auf das Gesundheitswesen. Anhand von Studien oder statistisch erhobenen Zahlen konnte beispielsweise beobachtet werden, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland Gesundheitsleistungen seltener in Anspruch nehmen als deutsche Staatsangehörige ohne Migrationshintergrund. Demnach werden zum Beispiel Schutzimpfungen und Früherkennungsuntersuchungen, wie für Brustkrebs von Personen mit Migrationshintergrund weniger wahrgenommen. Diese Beobachtung kann auf unterschiedliche Barrieren zurückgeführt werden, mit welchen eingewanderte Personen beim Zugang zum Gesundheitssystem im neuen Land konfrontiert werden. Langfristig betrachtet können daher höhere gesundheitliche Risiken für die Bevölkerungsgruppe entstehen, wodurch auf Dauer auch die Gesundheitsausgaben steigen können. Deshalb ist auf längere Sicht eine Anpassung des Gesundheitssystems und der gesundheitlichen Leistungen auf die kulturell geprägten Bedürfnisse der immigrierten Menschen notwendig.

Grundlegend zu diesem Apell stellen sich jedoch letztendlich folgende Fragen: Welche Barrieren bestehen bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsmaßnahmen aus der Perspektive von Menschen mit Migrationshintergrund? Und welche Herausforderungen ergeben sich bei der Gesundheitsversorgung von Personen mit Migrationshintergrund aus der Perspektive der Leistungserbringer?

Methodik der Forschung

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit, welche ich an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg 2020 erfolgreich eingereicht habe, wurden die beiden eben genannten Forschungsfragen untersucht. Die Ergebnisse basieren auf einer systematischen Literaturrecherche, welche sich von Dezember 2019 bis Ende April 2020 erstreckt hat. Diese wurde in den Datenbanken CINAHL und PubMed, in Fachzeitschriften und im Onlinekatalog der Bibliothek der PMU und Otto-Friedrich-Universität Bamberg durchgeführt. Zur Beantwortung der Forschungsfragen konnten letztendlich 16 Studien aus dem europäischen Raum herangezogen werden.

Barrieren bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsmaßnahmen aus der Perspektive von Meschen mit Migrationshintergrund

Anhand der Literatur konnten folgende fünf große Barrieren für Migrant*innen identifiziert werden.

  • Sprachbarriere
  • Hindernisse durch negative Erfahrungen sowie Ängste und Misstrauen gegenüber den Leistungserbringern und /oder dem Gesundheitssystem des Einwanderungslandes
  • Informationsdefizite zu den medizinischen Angeboten und /oder dem Aufbau des Gesundheitssystems
  • Kulturell bedingte Barrieren
  • Systembezogene, administrative Barriere

Die sprachlichen Hürden wurden durch die befragten Migrant*innen zum einen beispielsweise als Verständigungsschwierigkeiten zwischen den beiden Parteien beschrieben. Zum anderen wurden diese durch die mangelnde Verfügbarkeit von professionellen Dolmetschern begründet.

Vorfälle des Nicht-ernst-genommen-werdens oder der Diskriminierung können unter der Kategorie der Hindernisse durch negative Erfahrungen zusammengefasst werden. Durch derartige Erlebnisse haben die interviewten Personen mit Migrationshintergrund häufig ein Misstrauen gegenüber den Leistungserbringern oder dem gesamten Gesundheitssystem im Immigrationsland aufgebaut.

Das erwähnte Informationsdefizit bezüglich des Aufbaues des Gesundheitssystems bewirkte häufig eine Orientierungslosigkeit im System und eine mangelnde Kenntnis über Wege der Informationsbeschaffung.

Durch die verschiedenen Kulturen des Gesundheitspersonals und der Patient*innen, welche im Rahmen einer Behandlung häufig aufeinandertreffen, kam es des Öfteren zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen bezüglich der medizinischen Behandlung. Letztendlich fasst die Kategorie der systembezogenen, administrativen Barrieren die großen Unsicherheiten bezüglich der rechtlichen Ansprüche auf medizinische Versorgung und der Bürokratie in den Einwanderungsländern zusammen.

Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund aus der Perspektive der Leistungserbringer

Die Leistungserbringer sehen sich im Gegensatz hierzu mit folgenden Herausforderungen in der medizinischen Versorgung von Migrantinnen und Migranten konfrontiert:

  • Sprachbarriere
  • Negative Erfahrungen sowie Ängste und Misstrauen gegenüber den Leistungserbringern und/oder dem Gesundheitssystem des Einwanderungslandes
  • Informationsdefizit zu den Angeboten und/oder dem Gesundheitssystem auf Seite der Personen mit Migrationshintergrund
  • Kulturell bedingte Hürden
  • Ein eingeschränkter Zugang zur Zielgruppe
  • Vielschichtigkeit der Bedürfnisse und Problemlagen der eingewanderten Personen
  • Versorgung als emotionale Herausforderung
  • Systembezogene, administrative Barriere

Die befragten Leistungserbringer stellten die Sprachbarriere sowohl auf Seiten der Patient*innen als auch durch sich selbst fest. Durch dieses Hindernis kommt es demnach häufiger zu Missverständnissen und sogar Fehldiagnosen.

Die beschriebenen negativen Erfahrungen, beispielsweise durch Stigmatisierung, sowie die häufigen Wissenslücken der Menschen mit Migrationshintergrund zur Nutzung des Gesundheitssystems, machen sich auch in der Behandlung bemerkbar. Demnach berichten einige der Leistungserbringer in der Studie durch Teshome & Day (2015), dass viele Menschen mit Migrationshintergrund aus Unwissen die Notaufnahme bereits bei kleinen Erkrankungen aufsuchen. Aufgrund der unterschiedlichen Kulturen konnten zudem verschiedenen Krankheitsperspektiven durch die Gesundheitserbringer beobachtet werden. 

Der Zugang zu den verschiedenen ethnischen Gemeinden stellt eine weitere Herausforderung dar, da diese häufig sehr abgeschottet leben. Zudem haben die Zugewanderten häufig nicht nur ein, sondern meist eine Mehrzahl an Problemen und Bedürfnissen (beispielsweise Armut, Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankun-gen, etc.) auf welche die Anbieter adäquat reagieren müssen.

Letztendlich stellt auch die tägliche Konfrontation mit den Schicksalen der einzelnen Migrant*innen eine emotionale Herausforderung für die Leistungserbringer dar.

Schließlich mangelt es den Leistungsanbietern unter anderem häufig an finanziellen und personellen Ressourcen, um eine adäquate Versorgung für die bedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund zu gewährleisten. Derartige Aspekte wurden wiederum durch die Kategorie systembezogene, administrative Barrieren dargestellt.

Fazit

Aufgrund dieser Hürden und Herausforderungen kann eine verminderte Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen unter der Populationsgruppe der Personen mit Migrationshintergrund anhand von mehreren Studien beobachtet werden. Die Ergebnisse der Forschung zeigen, wie wichtig eine Berücksichtigung und gesonderte Betrachtung der Populationsgruppe von Menschen mit Migrationshintergrund in Bezug auf die Gesundheitsversorgung im Immigrationsland sind. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wäre es deshalb notwendig, neue kultursensible Angebote zu generieren und diese in der Gesundheitsversorgung des Immigrationslandes zu etablieren.

Auffällig war außerdem, dass sich die Barrieren aus der Perspektive der Migrant*innen und jene der Leistungserbringer häufig überschneiden. Dies veranschaulicht deutlich eine zusammenfassende Grafik (Abb. 1). Deshalb macht es Sinn in Zukunft derartige Maßnahmen auf beiden Seiten, also sowohl bei den Personen mit Migrationshintergrund als auch bei den Dienstleistern selbst, anzusetzen.

 

 

Abb. 1: Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Barrieren aus der Perspektive der Personen mit Migrationshintergrund und der Leistungserbringer (Geldner, 2020)

 

Letztendlich ist es jedoch wichtig, auch die positiven Seiten der Migration zu betrachten. Denn wie bereits anfangs beschrieben „liegt [es] an uns, ob wir darin [in der Migration] dennoch eher die Chancen sehen wollen oder die Schwierigkeiten“ (Özoğuz, 2015; zitiert nach Schel-menstreich, ohne Datum).

 

Die verwendete Literatur ist bei der Verfasserin (lena.geldnernoSpam@alumni.pmu.ac.at) erhältlich. 

Lena Geldner, BScN

Lena Geldner hat 2020 das Studium "2in1-Modell Bayern" mit den Abschlüssen zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin und Pflegewissenschafterin (BScN) an der PMU erfolgreich absolviert. Aktuell studiert sie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen den Masterstudiengang „Medical Process Management“ und arbeitet nebenbei im Klinikum am Bruderwald in Bamberg als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der kardiologischen Station.