Lärm in der Klinik: Wie laut ist das denn?

Lärm senkt die Lebensqualität, wird von vielen als belästigend und störend empfunden – und er löst Stress aus. Viele Menschen sind lärmempfindlich, wobei sich eben diese Empfindlichkeit oftmals in Form von körperlichen Leiden, wie beispielsweise Hörschäden oder Hypertonie, widerspiegelt. Lärm spielt auch im akutstationären Setting – und vor allem auf Intensivstationen – eine große Rolle.

Ein hoher Geräuschpegel hat nicht nur Folgen für die Patienten/innen, sondern auch für das gesamte therapeutische Team. Während eine laute Geräuschkulisse am Arbeitsplatz noch vor einigen Jahren wenig beachtet wurde, wird ihr heute weitaus mehr Bedeutung beigemessen, denn Lärm ist mit 32 Prozent die häufigste Ursache für arbeitsplatzbedingte Berufsunfähigkeit (Maue, 2009).

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt in ihrem Informationsblatt zu „Lärm-Stress am Arbeitsplatz“ von 2013, dass für Tätigkeiten, die eine besondere Konzentration verlangen, tagsüber ein Geräuschpegel von 55dB(A) möglichst nicht überschritten werden sollte. Auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat 2017 Richtwerte für einen empfohlenen Lautstärkepegel auf einer Intensivstation herausgegeben. Es sollten dB-Werte von tagsüber 45dB(A), abends 45dB(A) und nachts 20dB(A) nicht überschritten werden.

Lärm auf der Intensivstation eines Universitätsklinikums in Deutschland

In einer Untersuchung wurde mittels Schallpegelmessung folgenden Aspekten nachgegangen:

  1. Welcher Geräuschkulisse sind die Patienten/innen und das Behandlungsteam ausgesetzt?
  2. Welche Lärmquellen können identifiziert werden?

Durchführung:
Die drei Messungen erfolgten innerhalb jeder Schicht (Früh-, Spät- und Nachtdienst) nach DIN EN ISO 9612. Es wurde ein Schallpegel-Handmessgerät der Firma „OCS.tec SP1“ mit dem Bewertungsfilter „A“, welcher dem menschlichen Gehör nachempfunden ist, verwendet. Die vorgenommene Schallpegelmessung beinhaltete zwei Messanteile: Einerseits die Messung der Geräuschimmission auf die Zielpopulation, also die Summe aller Lärmquellen, die auf eine Person oder einen Ort wirken. Andererseits die Geräuschemission, die sich auf eine Lärmquelle beschränkt und diese beurteilt. Hier wird also das von einer Quelle abstrahlende Geräusch beurteilt.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen:
Geräuschimmissionsmessungen:
Der durchschnittliche gemessene Geräuschpegel in allen drei Schichten betrug 57,3dB(A) und lag somit über den empfohlenen Richtwerten. Der Spätdienst differierte gemessen an dem durchschnittlichen Geräuschpegel nur leicht vom Frühdienst. Darüber hinaus lag der durchschnittlich gemessene Geräuschpegel im Nachtdienst nur geringfügig unter den Tagdiensten und weist somit einen deutlich erhöhten Geräuschpegel auf. Für den besseren Überblick wurden die Minimal- und Maximal-Dezibel-Werte der Geräuschimmissionsmessung in der folgenden Abbildung dargestellt (s. Abb. 1).

Abb. 1: Zusammenfassung der absoluten Messergebnisse

Bei den Messungen fällt auf, dass zu den Übergabezeiten der Lautstärkepegel ansteigt (s. Abb. 2-4). Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob es sich um Früh-, Spät- oder Nachtdienst handelt. Dies kann durch die doppelte Anzahl von Pflegenden begründet werden. Anders als angenommen, sinkt zu den Besuchszeiten (16.00 bis 19.00 Uhr) der Lautstärkepegel auf der Intensivstation (s. Abb. 2). Zwar kommt es auch hier zu einem erhöhten Aufkommen an Menschen, dennoch scheint es, als hätten die Angehörigen in den meisten Fällen eine beruhigende Wirkung auf die Patienten/innen und deren Umgebung, was sich in einem geringerem Lautstärkepegel darstellt. Dies zeigt sich insofern, dass zwar Unterhaltungen geführt werden, die Überwachungsinstrumente jedoch weniger Alarm auslösten.

Abb. 2: Geräuschimmissionsmessung (Frühdienst)

 

Abb. 3: Geräuschimmissionsmessung (Spätdienst)

 

Abb. 4: Geräuschimmissionsmessung (Nachtdienst)

Geräuschemissionsmessungen:
Die Geräuschemissionsmessung wurde stichprobenartig durchgeführt. Hierfür wurden hauptsächlich Gegenstände gewählt, die im Stationsalltag zu finden sind. Alle Messungen wurden unter möglichst gleichen Bedingungen durchgeführt. Darüber hinaus wurde versucht, eine möglichst ruhige Messumgebung zu schaffen, um die Ergebnisse so real wie möglich zu erfassen. Die Ergebnisse der Messung werden folgend aufgeführt (s. Abb. 5). Die Gegenstände, die während der Messung einen Alarm von sich gaben, sind mit einem „* “ gekennzeichnet.

Abb. 5: Ergebnisse der Schallemissionsmessung

Auch bei der Geräuschemissionsmessung sind einige Auffälligkeiten zu erkennen. So ist zum Beispiel das Schließen der Müll- und Wäscheabwürfe mit 85,4dB(A) an zweiter Stelle abgebildet. Bei der Betrachtung des oberen Teils der Abbildung, alle Werte > 70dB(A), fällt auf, dass es sich bei mehr als 60 Prozent der aufgeführten Geräuschquellen um solche handelt, die durch die Mitarbeiter/innen selbst verursacht werden. Hierzu zählen zum Beispiel das Zuschlagen des Wäscheabwurfs oder der Schubladen der Verbandswägen. Das rechtzeitige Wechseln von Medikamenten oder das bewusst leise Schließen der Türen kann zu einer Reduktion der Geräuschimmission auf einer Intensivstation führen.

Zusammenfassung:
Im Verlauf der Untersuchung ist deutlich geworden, dass Lärm ein ständiger Begleiter des Menschen ist. Sowohl im Beruf, als auch in der Freizeit ist er meist unumgänglich. So ist es nicht verwunderlich, dass Lärm ohne Ruhepausen dem Menschen großen Schaden zufügen kann (aurale und/oder extra-aurale Auswirkungen). Ist eine Menschengruppe, zum Beispiel das Pflegepersonal auf einer Intensivstation, ständig einer lauten Arbeitsatmosphäre ausgesetzt, so kann dies gefährliche Folgen haben. Zwischen Stress und großer Aufmerksamkeit können sich Konzentrationsverlust, Unproduktivität oder auch eine Beeinträchtigung des sozialen Verhaltens einschleichen, was zwangsläufig zu einer erhöhten Fehlerquote führt. Geräuschimmissions- und Emissionsmessungen konnten bestätigen, dass auf einer Intensivstation ein kontinuierlich zu hoher Geräuschpegel für geistig fordernde Arbeiten besteht.

Interessanterweise konnten die Messungen zeigen, dass in Situationen, in denen ein lauterer Geräuschpegel zu erwarten war, wie bei der Präsenz von Angehörigen, genau das Gegenteil der Fall war. Weiterhin hat die Messung gezeigt, dass die Alarme einiger Maschinen physikalisch gesehen nicht lauter als ein Motorrad sind. Der Grund, warum diese Geräusche als lauter wahrgenommen werden, ist vermutlich ihr unangenehmer Ton. So werden gewöhnliche „Freizeitgeräusche“ gleicher Lautstärke als weniger laut empfunden. Nicht zuletzt leiden neben den Mitarbeiter/innen auch Patienten/innen unter einer permanent lauten Umgebung. Dies kann den Genesungsprozess erheblich beeinflussen.

Ausblick:
In weiteren Untersuchungen sollten Lösungsansätze zur Reduzierung des Lärmpegels auf einer Intensivstation erforscht werden. Diese Lösungsansätze könnten beispielsweise technische, bauliche und persönliche Maßnahmen zur Verbesserung der Lärmsituation beinhalten. Außerdem wäre es sinnvoll, das Thema „Lärmvermeidung“ als neuen Standard zu etablieren sowie Fortbildungen für therapeutische Teams anzubieten.
 

Kernaussagen:

  • Der Geräuschpegel war bei Anwesenheit der Angehörigen am geringsten.
  • Viele Lärmquellen können durch das therapeutische Behandlungsteam selbst positiv beeinflusst werden (Appell an das Verantwortungsbewusstsein).
  • Ein reflexiver Umgang mit dem Thema „Lärm“ ist von Bedeutung.
BScN Tobias Heinicke

Tobias Heinicke ist Pflegewissenschafter (BScN), Fachkrankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie (DKG) sowie Praxisanleiter (DKG). Er arbeitet seit 2006 am Universitätsklinikum Erlangen und ist derzeit auf einer Interdisziplinären operativen Intensivstation tätig. Heinicke ist seit 2020 im Rahmen der Lehrveranstaltung „Angewandte beschreibende Statistik“ am Institut für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität tätig. Er begleitet die Studierenden des Onlinestudiengangs Pflegewissenschaft (OBAC) mit einem Statistik-Tutorium. Neben der theoretischen Pflegewissenschaft spielt die angewandte Pflegewissenschaft in der direkten Patienten/innenversorgung eine zentrale Rolle im erfolgreichen Theorie-Praxis-Transfer.