Digitale Trauerfeiern in Zeiten von COVID-19

Um der Ausbreitung von COVID-19 entgegenzuwirken, setzt die österreichische Regierung verstärkt auf Social Distancing. Die einhergehenden Maßnahmen und Einschränkungen beeinflussen auch die Durchführung von Trauerfeiern. Michael Klösch hat einen Bestattungsunternehmer interviewt um herauszufinden, wie man den Angehörigen trotz Pandemie einen würdevollen Abschied ermöglich kann.

Mit Mai 2020 wurde die Größe der zulässigen Trauergemeinde vor Ort auf 30 Individuen erhöht, wobei nach wie vor ein Mindestabstand von einem Meter einzuhalten und Körperkontakt (z.B. Händeschütteln oder Umarmungen) zwischen den anwesenden Personen zu vermeiden ist. Die hier angeführten Rahmenbedingungen (Siehe Abbildung 1) können einen Stressfaktor darstellen und den Trauerprozess von Angehörigen oder Freunden nachteilig beeinflussen, weil das soziale Umfeld als Auffangnetz und die körperliche Nähe zur verstorbenen Person eine zentrale Bedeutung im bewussten Trauern einnehmen.

Abbildung 1: Trauerfeiern während der Ausgangsbeschränkungen in Zeiten der COVID-19-Krise

Um Angehörigen dennoch einen würdevollen Abschied zu ermöglichen, zieht das Wiener Bestattungsunternehmen Himmelblau® seit den ersten Ausgangsbeschränkungen in Österreich digitale Lösungen heran. Den Trauerfeiern kann so ortsunabhängig, kostenlos und passwortgeschützt via Livestream gefolgt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Beerdigungszeremonien aufzuzeichnen und diese über mobile Datenträger an die Trauergemeinde zu versenden.

Jacob Homan, Geschäftsführer der Bestattung Himmelblau GmbH®, sprach am 31. März 2020 in einem Telefoninterview über Begräbnisse und Abschiednehmen in Pandemie-Zeiten.

Wie erleben Sie als Bestattungsunternehmen die derzeitige COVID-19-Situation in Österreich?

Homan: Die COVID-19-Situation in Österreich spüren wir jetzt zum Glück nicht so, dass wir hier einen deutlichen Zuwachs der Sterberaten bemerken. Allerdings wirken jetzt natürlich alle Kooperationspartner viel aufgeregter: Die Spitäler, die Altenheime oder Privatpersonen, mit denen nun alles viel schwieriger geworden ist, weil sehr unterschiedliche Schutzmaßnahmen getroffen werden. Von Schutzanzügen oder Masken, die uns zur Verfügung gestellt werden, bis hin zu Betretungsverboten oder Temperaturkontrollen.

Wir merken aber auch eine gewisse Distanz zur Kundschaft. Es ist für uns beispielsweise etwas schwieriger, ein Aufnahmegespräch durchzuführen, weil die Situation eine ganz andere ist. Wir möchten unseren Kundinnen und Kunden einen schönen Abschied ermöglichen, was derzeit oft in der gewünschten umfangreichen Form nicht möglich ist.

Welche Vorkehrungen haben Sie als Geschäftsführung zum Schutz Ihrer Mitarbeiter getroffen?

Homan: Wir haben unsere Vorräte an Schutzmasken, Brillen und Schutzanzügen aufgestockt. Diese halten unsere Mitarbeiter auch in regulären Zeiten vor, sie werden aber derzeit viel häufiger gebraucht. Prinzipiell besteht bei uns nicht die Sorge, auf eine Person zu treffen, die an COVID-19 verstorben ist. Wir gehen damit nicht anders um als mit anderen infektiösen Verstorbenen, da wir die Hygiene-Richtlinien ohnedies immer einhalten. Unsere Sorge ist eine mögliche Ansteckung von an sich gesunden Personen. Deshalb sind unsere Mitarbeiter geschult und halten sich an die Vereinbarungen. Ein bewusster Umgang mit der COVID-19-Situation ist für uns von großem Interesse.

Sie bieten Trauerfeiern auch digital an – existierte dieses Angebot bereits vor der COVID-19-Situation in Österreich?

Homan: Wir sind meines Wissens nach die Ersten in Österreich, die das anbieten. Wir sind aber auch erst im Zuge dieser Krise auf die Idee gekommen. Im Gespräch mit einer Kundin mit zahlreichen Geschwistern, deren Mutter verstorben ist, entwickelte sich die Möglichkeit, die Trauerfeier und Bestattung auf Video aufzuzeichnen und schließlich auch live im Internet zu streamen. Die Kundin war sehr erleichtert und die Angehörigen haben das Angebot gerne angenommen. Die Anfragen nach diesem Angebot sind merkbar angestiegen. Es ist eine gute Möglichkeit, doch mehr Leute an der Trauerfeier teilhaben zu lassen. Der Auftraggeber bekommt zwei bis drei Stunden nach dem Begräbnis eine Aufzeichnung per Link zugesendet, die er an jene verteilen kann, die vielleicht erst danach zuschauen können.

Ich war jetzt bei zwei oder drei Begräbnissen mit digitaler Übertragung dabei. Es ist ganz interessant, wie sehr sich die Priester schon darauf eingestellt haben und tatsächlich auch Leute in der Trauergemeinde, die gar nicht persönlich anwesend sind, ansprechen.

Werden Sie digitale Übertragungen von Trauerfeiern auch nach der COVID-19-Krise anbieten?

Homan: Ich denke schon, dass wir das anbieten werden. Oft merke ich, dass Begräbnisse lange verschoben werden oder es Unsicherheiten mit dem Termin gibt, weil Angehörige im Ausland leben. Wir werden das aber sicher nicht als Standard einführen, denn das Begräbnis soll etwas Intimes bleiben.

Ohne pietätlos wirken zu wollen: Kann man als Bestattungsunternehmen die COVID-19-Situation auch als Chance für das Geschäft bezeichnen?

Homan: Es geht gar nicht darum, zusätzliche Kunden zu lukrieren; die Sterbezahlen bleiben wahrscheinlich gleich. Ich kann mich natürlich von Mitbewerbern abheben, doch auf diese Chance hätte ich, wenn ich ehrlich bin, gerne verzichtet. Da sind erschütternde Geschichten dabei, die man hören und mit denen man sich auseinandersetzen muss. Aber ich merke, wie viel Bürokratie man aus dem ganzen Organisationsprozess von Trauerfeiern herausnehmen kann, auch die Kommunikation mit den Standesämtern funktioniert viel einfacher. Viele Abläufe, die vorher nicht digital möglich waren, sind plötzlich machbar. Wie in jeder Branche merkt man jetzt, dass die Technik nicht nur der Feind ist.

Resümee

Im Zuge des Interviews hat sich herauskristallisiert, dass für das Bestattungsunternehmen weniger der Nutzen digitaler Medien, als vielmehr zwischenmenschliche Aspekte gegenüber dem Kunden sowie ein adäquates Krisenmanagement in Kooperation mit anderen Firmen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Trauerfeiern bleiben in deren Struktur unverändert und werden lediglich aufgezeichnet. Vorrangiges Ziel stellt trotz fehlender physischer Anwesenheit die Zufriedenheit der Trauergemeinde dar. Die COVID-19-Situation aus wirtschaftlicher Sicht positiv auszulegen wird seitens der Geschäftsführung strikt abgelehnt. Unabhängig davon kann laut dem Interviewpartner die derzeitige Situation auch als Chance verstanden werden, bürokratische Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten und ein gesellschaftsbezogenes Bewusstsein für die hohe Verantwortung eines Bestattungsunternehmens herbeizuführen. Im Übrigen bildeten die Schutzmaßnahmen gegen das Virus das Fundament für eine Modernisierung von Trauerfeiern. In welchem Ausmaß diese zukünftig jedoch Einsatz findet bleibt ungewiss. Eine nationale Umfrage des Österreichischen Rundfunks deutet jedoch darauf hin, dass in der Bevölkerung gegenüber elektronischen Geräten und den darauf abzurufenden digitalen Applikationen eine gewisse Akzeptanz besteht. So werden im Durchschnitt allein 3,4 Stunden pro Tag in den Smartphonegebrauch investiert. Ob der angeführte Trend zu einer gesteigerten Verlagerung von Trauerfeiern in das Netz führt, wird sich weisen. Diese Überlegung bestätigte ebenso der Interviewpartner, wobei betont wurde, dass eine vollständige Umstrukturierung hin zur Digitalisierung keineswegs das Ziel darstellt. Bei Verhinderung oder weitläufigen geografischen Distanzen könne technische Unterstützung gleichwohl als probates Mittel der Wahl angesehen werden.

Der Vorteil einer ortsunabhängigen Teilnahme im Kontext digitaler Trauerfeiern rückt zurzeit jedoch aufgrund der durch die österreichische Regierung verhängten Ausgangsbeschränkung zunehmend in den Vordergrund. Fraglich bleibt, ob das beschriebene Konzept ebenso in anderen Staaten (z.B. Italien, Frankreich oder USA) anwendbar ist, welche mit weit höheren COVID-19-bezogenen Sterberaten und Ressourcenknappheit in der Krankenversorgung zu kämpfen haben. Provisorisch eingerichtete Lazarette, unzureichend durchdachte Ad-hoc-Lösungen oder politische Überforderung lassen zwischenmenschliche Aspekte sowie eine adäquate Sterbebegleitung tendenziell in den Hintergrund rücken. Daraus resultierende ethisch-moralische Konfliktfelder für pflegerisch-medizinisches Fachpersonal sind unausweichlich und könnten für beteiligte Individuen einen zusätzlichen Stressor darstellen.

Gegebenenfalls lässt sich trotz mangelnder Zeit- und Personalressourcen eine virtuelle Teilnahme Angehöriger durch digitale Applikationen jedoch zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich der Präterminalphase, realisieren. An COVID-19 schwer erkrankte Individuen würden dadurch dennoch die Möglichkeit erhalten, von Familie und Freunden Abschied zu nehmen und letzte Wünsche zu äußern. Einflussfaktoren, wie zum Beispiel das Alter, der Gesundheitszustand oder mangelnde Technikkenntnisse, sind hier jedoch als Limitationen anzuführen, welche wiederum Unterstützungsmaßnahmen durch vor Ort tätige Personen in der Krankenversorgung implizieren.

Die derzeitige COVID-19-Situation bildete die Voraussetzung für den Einsatz digitaler Applikationen bei Trauerfeiern in Österreich. Nach Abklingen der bestehenden Krise könnten bereits durchgeführte sowie bevorstehende Bestattungen anhand von Fragebogenerhebungen oder qualitativen Ansätzen evaluiert und das Konzept an die Vorstellungen trauernder Angehöriger adaptiert werden. Einer adäquaten wissenschaftlichen Begleitung kann neben datenschutzrechtlichen Ansprüchen sowie einem bewussten Umgang mit dem Verstorbenen und den Angehörigen durch das jeweilige Bestattungsunternehmen ein hoher Stellenwert zugesprochen werden.

 

Anmerkung

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus einer Publikation, welche im Mai 2020 in der Fachzeitschrift ProCare® erschienen ist. Das gesamte Gespräch kann via SpringerLink als elektronisches Zusatzmaterial eingesehen werden. Link zum Artikel: https://link.springer.com/article/10.1007/s00735-020-1189-1?wt_mc=Internal.Event.1.SEM.ArticleAuthorOnlineFirst. Inhaltliche sowie methodologische Fragen richten Sie bitte an den Autor des Blogbeitrages.

Literaturverzeichnis

Die herangezogene Literatur kann beim Verfasser (michael.kloesch@pmu.ac.at) angefordert werden.

Original: Klösch, M., Deix, G. & von Reibnitz, C. (2020). Nähe vermitteln in Zeiten der Distanz. Digitale Angebote für Trauerfeiern und Bestattungen unter COVID-19-Bedingungen. ProCare, 25, 14–16.

Michael Klösch, BSc.

Michael Klösch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität und Student im Masterstudium Pflegewissenschaft (MScN). Seine Schwerpunkte umfassen die Themenbereiche eLearning, Telehealth sowie elektronische Rufhilfen im klinischen Setting.