Pflege im Kontext der Ökonomisierung

Um sich dem Thema der Ökonomisierung der Pflege anzunähern, müssen zu allererst ein paar interessante Grundlagen angeführt und einige Fragen beantwortet werden, zum Beispiel: Was heißt eigentlich Ökonomisierung? Welche wissenswerten zahlenbasierten Fakten stehen uns zur Verfügung? Und welche Bedeutung hat die Pflege für ein Krankenhaus?

Einordnung der Pflege in die Wirtschaft
Das Gesundheitswesen gehört zu einem der größten Arbeitsmärkte in Deutschland; im Jahr 2012 zählte es bereits 5,2 Millionen Beschäftigte. Fachzeitschriften bezeichnen die Gesundheitswirtschaft als Job- und Beschäftigungsmotor, denn sie wachse mehr als der Rest der Wirtschaft. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 sind es bereits 5,6 Millionen Beschäftigte mit einem Frauenanteil von 75,8% und einem Anteil über 59-jährigen Arbeitnehmern von 11,6%.
Ein Vergleich mit der Automobilindustrie bestätigt die Bedeutung des Gesundheitswesens für den Arbeitsmarkt in Deutschland. Mit einem Umsatz von 376 Milliarden Euro im Jahr 2017 befindet sich die Gesundheitsbranche auf einem ähnlichen Niveau wie die Automobilindustrie, die 2017 einen Umsatz von 423 Milliarden Euro erzielte. Allerdings zählte die Automobilindustrie im Jahr 2017 hingegen lediglich rund 820.000 Beschäftigte. Damit ist die Anzahl Beschäftigter im Gesundheitswesen rund sieben Mal höher als in der Automobilbranche. Von den Beschäftigten in der Krankenpflege waren in 2018 laut der Bundesagentur für Arbeit 770.000 Beschäftige examinierte Fachkräfte. Von 2017 auf 2018 gab es einen Beschäftigungszuwachs von 21.200 (2,8%) an examinierten Fachkräften in der Krankenpflege. Der Anteil examinierte pflegerischer Fachkräfte an allen Beschäftigten im Gesundheitswesen betrug im Jahr 2017 demnach 13,8%.
Mit diesem Bericht möchten wir uns der Frage der Ökonomisierung der Pflege nähern. Was heißt eigentlich Ökonomisierung? Welche wissenswerten zahlenbasierten Fakten stehen uns zur Verfügung? Welche Bedeutung hat die Pflege für ein Krankenhaus? Auf diese Fragen möchten wir mit diesem Bericht Antworten finden. Wir beginnen mit der Frage der Ökonomisierung.

Was heißt eigentlich Ökonomisierung?
Unter Ökonomie (Wirtschaft) wird die Gesamtheit aller Akteure, welche in einem bestimmten Kontext miteinander verbunden sind, verstanden. Beispiele sind die Ökonomie eines Landes, einer Familie oder auch eines Betriebes. Inhaltlich betrifft es etwa ihre Ausstattung mit Ressourcen (Arbeit und Kapital), ihre Interaktionen miteinander und die Ergebnisse daraus. Alle Ökonomien stehen dem Umstand der Ressourcenknappheit gegenüber.

Bezogen auf das Gesundheitswesen, beschäftigt sich die Gesundheitsökonomie mit der ökonomischen Analyse des Gesundheitswesens. Im Rahmen dieser Analyse beantworten Gesundheitsökonomen etwa folgende Fragen:

  • Werden Ressourcen richtig und bedarfsorientiert verteilt?
  • Erfolgt die Behandlung von Erkrankungen zu möglichst geringen Kosten bei gegebener Qualität oder werden Ressourcen verschwendet?

Die erste Frage bezeichnen Gesundheitsökonomen als Allokationsproblem. Unter Allokation wird in der Ökonomie die Verteilung knapper Ressourcen oder Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital) auf verschiedenen Bedarf verstanden. Die Ökonomisierung ist auch im Krankenhaus angekommen. Was ist passiert?

Ökonomisierung im Krankenhaus
In Deutschland ist im SGB V § 71 der Grundsatz der Beitragssatzstabilität festgeschrieben. Das bedeutet, die Vereinbarungen über die Vergütungen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern sind so auszugestalten, dass Beitragssatzerhöhungen der Krankenversicherung möglichst ausgeschlossen werden. Auch müssen die Leistungen gemäß § 12 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich durchgeführt werden; das heißt sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Um diesen Grundsätzen gerecht zu werden, wurde seitens der Politik Anfang der 90er Jahre ein neues Vergütungssystem mit Fokus auf die Förderung eines effizienten Ressourceneinsatzes eingeführt. Vor dieser Maßnahme boten tagesgleiche Pflegesätze, ohne Bezug zum Behandlungsaufwand für einzelne Patientinnen und Patienten, keinen Anreiz zu einem effizienten Einsatz von Ressourcen im Krankenhaus. Das neue Vergütungssystem, welches Anfang der 2000er flächendeckend im Krankenhaussektor eingeführt wurde, basiert auf Fallpauschalen, den sogenannten Diagnosis Related Groups (DRG). Hierbei werden, stark vereinfacht, Gruppen für Diagnosen bzw. Behandlungen gebildet, welche einen ähnlich hohen ökonomischen Ressourcenaufwand verursachen. Für jede dieser Gruppen wird der über alle Krankenhäuser hinweg entstehende durchschnittliche Aufwand ermittelt. Daraus lassen sich Relativgewichte, also die Kostenverhältnisse der einzelnen DRGs zueinander, ableiten. Diese werden mit dem sogenannten Landesbasisfallwert, einer historisch gewachsenen und politisch ausgesetzten Größe, multipliziert. Im Ergebnis steht ein Geldbetrag je Behandlungsfall (DRG), unabhängig davon, in welchem Krankenhaus die Behandlung erbracht wird. Es handelt sich hierbei also um eine an den Durchschnittskosten orientierte Vergütung.

Ab 2004 war die Abrechnung über DRG-Entgelte für alle somatischen Krankenhäuser verpflichtend. Die Erlöse über DRG-Entgelte orientieren sich seitdem an den Durchschnittskosten der Krankenhäuser. Das bedeutet, die Höhe der eigenen Marge im Vergleich zur Marge der anderen Krankenhäuser ergibt sich nunmehr aus der relativen Kostenstruktur. Die daraus resultierenden Anreize sind die eigene Kostenstruktur zu optimieren, Leistungen mit geringen Deckungsbeiträgen zu reduzieren und Leistungen mit hohen Deckungsbeiträgen zu steigern. Diese ökonomischen Zwänge strategisch umzusetzen ist in vielen Krankenhäusern auch dringend notwendig, denn Investitionen (Bau, Infrastruktur) müssen zunehmend aus den betrieblichen Erträgen heraus finanziert werden. Bei vielen lag und liegt noch heute ein erheblicher Investitionsstau vor. Im nächsten Abschnitt wird diesbezüglich eine Untersuchung von Kennzahlen mit Bezug zur Pflege vorgenommen.

Zusammenstellung wissenswerter Zahlen, Daten und Fakten
Ein Blick auf Abbildung 1 zeigt, dass die Bevölkerung in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2017 um insgesamt 3,0 Prozent angewachsen ist. Im gleichen Zeitraum ist auch die Anzahl der Krankenhausfälle gestiegen, jedoch um 5,5 Prozent.

Abbildung 1: Eigene Darstellung in Anlehnung an Krankenhausstatistik - Grunddaten der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Statistisches Bundesamt; Fortschreibung des Bevölkerungsstandes, Statistisches Bundesamt.

 

Wie anfangs bereits erwähnt, gehört das Gesundheitswesen zu einem der größten Arbeitsmärkte in Deutschland. Der zentrale Einflussfaktor, warum das Gesundheits- aber auch das Sozialwesen zu einem der größten Wachstums- und Wirtschaftsmotoren in Deutschland zählen, ist die demografische Entwicklung. Ein Auszug aus der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Tabelle 1) zeigt bei der Grundannahme einer relativ alten Bevölkerung, dass die Anzahl hochbetagter Menschen von 2018 bis 2060 um 35 Prozent ansteigen wird, während die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in demselben Zeitraum um 24 Prozent abnimmt:

 

Abbildung 2 veranschaulicht, dass zwischen 2000 und 2007, also genau im Zeitraum der Einführung von Fallpauschalen, ein Rückgang von Vollkräften im Pflegedienst im Krankenhaus stattfand. Seit 2007 steigt die Anzahl der Pflegekräfte zwar wieder an, dennoch ist von 2000 – 2017 insgesamt ein Rückgang der Vollkräfte um 1,3% zu verzeichnen.

Abbildung 2: Eigene Darstellung in Anlehnung an Krankenhausstatistik - Grunddaten der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Statistisches Bundesamt; Oberender Research Institute; Daten beziehen sich ausschließlich auf Allgemeinkrankenhäuser

 

Des Weiteren ist zu erkennen, dass die Verweildauer im Krankenhaus seit dem Jahr 2007 fast durchgehend sinkt. Abbildung 3 zeigt auf, dass ein/e Patient/in im Jahr 2007 durchschnittlich 7,8 Tage im Krankenhaus stationär behandelt wurde; 2017 sind es hingegen nur noch durchschnittlich 6,7 stationäre Tage. Die Verweildauer ist demnach im Zeitraum von 2007 bis 2017 um insgesamt 14,1 Prozent gefallen.

Abbildung 3: Eigene Darstellung in Anlehnung an Krankenhausstatistik - Grunddaten der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Statistisches Bundesamt; Oberender Research Institute

 

Gleichzeitig wird in der Diskussion zumeist von einer gestiegenen Arbeitsbelastung in Form einer Leistungsverdichtung im Krankenhaus ausgegangen. Begründet wird dies, wie in folgender Tabelle dargestellt, mit der gestiegenen Anzahl zu versorgender Fälle je Vollkraft im Pflegedienst von 2003 bis 2015, welche um 12 Prozent zugenommen hat.

Weiter wurden im Rahmen des Krankenhaus Barometers 2019, erstellt durch das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI), 268 Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland nach offenen respektive nicht besetzten Stellen im Pflegedienst befragt. Die Hochrechnung auf die Grundgesamtheit aller Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten zeigt, dass im Jahr 2019 rund 12.000 Vollzeitstellen auf den Allgemeinstationen im Pflegedienst unbesetzt waren. Im Jahr 2016 wird von 3.900 unbesetzten Stellen im Pflegedienst ausgegangen, was einer Erhöhung der offenen Pflegestellen etwa um das Dreifache entspricht. Diese Entwicklung zeigt sich auch bei der Stellenbesetzung in der Intensivpflege. Im Jahr 2016 waren es noch 3.150 unbesetzte Stellen. Im Jahr 2019 waren es bereits 4.700 unbesetzte Stellen in der Intensivpflege. Dies entspricht einer Zunahme um rund 50%.

Abschließend werden im Faktencheck Pflegepersonal im Krankenhaus aus dem Jahr 2017 verschiedene Studienergebnisse aufgezeigt, im Rahmen derer die zukünftige Entwicklung von Pflegepersonal untersucht wurde. So gehen Ostwald et. al. (2010) sowie Rothgang, Müller und Unger (2010) für das Jahr 2030 von einer Bandbreite zwischen 400.000 – 490.000 offene Stellen in Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sowie Pflegeheimen aus. Die Studie von Afentakis und Maier (2010) prognostiziert hingegen für das Jahr 2025 eine Anzahl offener Stellen in Pflegeberufen in Höhe von 152.000. Welche Bedeutung hat Pflege im Krankenhaus und warum ist qualifiziertes Pflegepersonal so unverzichtbar?

Bedeutung von Pflege im Krankenhaus
Das Bundesministerium für Gesundheit stellt klar, dass nur mit einer guten Pflegepersonalausstattung eine sichere und gute Behandlung von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus möglich ist. Aus diesem Grund gelten ab Januar 2019 in vier pflegesensitiven Bereichen Pflegepersonaluntergrenzen (Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie). Diese Pflegepersonaluntergrenzen werden ab Januar 2020 nicht nur verschärft, sondern auch um die Bereiche Herzchirurgie, Neurologie, Neurologische Schlaganfalleinheit und Neurologische Frührehabilitation erweitert. Die Pflegepersonaluntergrenzen werden als maximale Anzahl von Patienten pro Pflegekraft festgelegt. Beispielsweise darf in der Geriatrie in der Tagschicht (06:00 – 22:00 Uhr) eine Pflegekraft maximal zehn Patienten betreuen, in der Nachtschicht (22:00 – 06:00 Uhr) sind es maximal 20 Patienten je Pflegekraft. Krankenhäuser, welche sich nicht an die Vorgaben halten und die Grenzen unterschreiten, müssen Vergütungsabschläge oder gar Fallzahlreduzierungen hinnehmen. „Pflegesensitive Bereiche im Krankenhaus sind im Sinne des Gesetzgebers solche Bereiche, in denen aus Sicht des Patientenschutzes sowie aus Sicht der Versorgungsqualität ein Zusammenhang zwischen der Anzahl an Pflegekräften sowie dem Vorkommen von unerwünschten Ereignissen, wie etwa ein Dekubitus oder eine Infektion der Operationswunde (sogenannte „pflegesensitive Ergebnisindikatoren“), besteht. Dies bedeutet, das pflegesensitive Krankenhausbereiche für unerwünschte Ereignisse anfällig sind, soweit dort eine Pflegepersonalunterbesetzung vorliegt“. Erste Hinweise auf pflegesensitive Bereiche basieren auf einem Gutachten des Hamburg Center for Health Economics (hche) vom 16.11.2016 (Schreyögg-Gutachten). Was nehmen wir für die Zukunft mit?

Erkenntnisse und Ausblick
Im Vergleich zur Automobilindustrie sind im Gesundheitswesen bei einem ähnlichen Umsatz sieben Mal mehr Arbeitnehmer beschäftigt. Dieser Wirtschaftszweig gehört zu einem der größten Arbeitsmärkte in Deutschland. Von der Gesamtanzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen betrug der Anteil examinierter pflegerischer Fachkräfte im Jahr 2017 rund 13,8%. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird der Bedarf an Gesundheitsleistungen zunehmen, während die Anzahl an Erwerbsfähigen immer weiter abnimmt. Dies wird sich auch auf den Pflegedienst im Krankenhaus verstärkt auswirken, spürbar ist es schon jetzt. Weiter werden gesetzliche pflegerische Personalvorgaben zunehmend ausgeweitet. Wer die Vorgaben nicht einhält erhält eine Sanktion. Nach ökonomischen Gesichtspunkten sind examinierte pflegerische Fachkräfte bereits jetzt eine knappe Ressource, welche sinnvoll einzusetzen ist. Fakt ist: ohne gut ausgebildetes Pflegepersonal können medizinische Leistungen im Krankenhaus nicht erbracht werden. Die Durchführung einer Operation, die Überwachung und Versorgung kritischer Patienten auf den Intensivstationen, die Versorgung pflegeaufwendiger Patienten auf geriatrischen Stationen oder die Versorgung sterbenskranker Menschen auf Palliativstationen stellen nur Beispiele dar. Es ist auch zu hinterfragen, wie zukünftig qualifiziertes Personal bei steigenden Anforderungen optimal eingesetzt wird. Hier setzt die Paracelsus Medizinische Privatuniversität mit ihrem Studium der Pflegewissenschaft an. Für die hochqualifizierten Absolventen solcher Studiengänge müssen zukünftig Tätigkeitsfelder und Rahmenbedingungen geschaffen werden. In diesem Zusammenhang bestreiten schon einige Krankenhäuser, wie beispielsweise innerhalb der Ameos Gruppe, den Weg des akademischen Lehrkrankenhauses der Pflege.

Welche Themen interessieren Sie? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, damit wir Ihre Wünsche und Anregungen im Rahmen unseres nächsten Blogbeitrags mit aufnehmen können. Vielen Dank!

Jochen Baierlein

Jochen Baierlein ist Mitglied des Vorstands der Oberender AG, eine Unternehmensberatung im Gesundheitswesen in München.

Christian Naber

Christian Naber ist Gesundheits- und Krankenpfleger und Berater bei der Oberender AG, eine Unternehmensberatung im Gesundheitswesen in München