Angehörigenpflege bei Demenz und Formen der Unterstützung

Die Betreuung von Menschen mit Demenz ist eine der drängenden Aufgaben unserer Zeit. Simon Krutter erklärt, warum es phasengerechter Hilfs- und Unterstützungsangebote in der Angehörigenpflege bei Demenz bedarf und wie diese aussehen.

Das Institut für Pflegewissenschaft und -praxis erhob in einem Forschungsprojekt namens PAiS (Pflegende Angehörigen von Menschen mit Demenz in Salzburg) die Versorgungssituation von Menschen mit Demenz sowie die Belastungssituation der Angehörigen aus der Perspektive der Betroffenen und der professionellen Versorger/innen. Dabei zeigte sich, dass die Form der Unterstützung an die Phasen und Intensität der Demenzerkrankung anzupassen ist. Da dies nicht immer der Fall war – wie es unsere Ergebnisse zeigen – und somit die Gefahr der Fehl-, Unter- oder gar Überversorgung besteht, wird in diesem Blogeintrag über phasengerechte Hilfs- und Unterstützungsangebote in der Angehörigenpflege bei Demenz informiert. Welche Phasen und Unterstützungsangebote zu unterscheiden sind, fasst untenstehendes Schaubild zusammen und ist Inhalt dieses Blog-Beitrages:
 


Die Bedeutung  der Phasen. Die Betreuung von Menschen mit Demenz ist eine der drängenden Aufgaben unserer Zeit. Studien zeigen, dass sich die überwiegende Mehrheit älterer Menschen wünscht, bis zuletzt zuhause bleiben zu können. Neben der vertrauten häuslichen Umgebung hat das vor allem mit der Nähe zu den Angehörigen, Freunden und Nachbarn zu tun. Um im eigenen Umfeld weiterleben zu können, sind Menschen mit Demenz im Fortlauf ihrer Erkrankung jedoch auf Unterstützung angewiesen. Pflegende Angehörige leisten dabei einen wichtigen Beitrag.

Auch wenn die Pflege eines Angehörigen als sinnstiftend empfunden wird und zahlreiche positive Erfahrungen damit einhergehen, ist diese Aufgabe oftmals mit Belastungen verbunden. Gefühle der Überforderung und des Versinkens in der Pflegerolle oder fehlende familiäre Unterstützung werden von pflegenden Angehörigen als besonders belastend empfunden. Um pflegende Angehörige vor Überlastungen zu bewahren und sie in ihrer wichtigen Aufgabe zu unterstützen, kommt den professionellen Versorgern eine hohe Bedeutung zu.

Da die Demenz einen progressiven Verlauf nimmt und zum jetzigen Zeitpunkt nicht geheilt werden kann, kommt der Versorgung der Betroffenen eine Schlüsselrolle zu. Neuere Forschungsarbeiten zur Unterstützung von Menschen mit Demenz und deren pflegender Angehöriger verweisen insbesondere auf die Bedeutung einer phasengerechten Unterstützung, je nach Schweregrad der Demenz. Welche Phasen in der Angehörigenpflege bei Demenz zu unterscheiden und welche passenden Formen der Unterstützung dabei zu benennen sind, darauf versucht dieser Blogeintrag nützliche Antworten zu geben.

Die Phase erster Symptome – durch Unterstützung für Autonomie sorgen. Da ein Nachlassen geistig kognitiver Fähigkeiten mit dem Alterungsprozess einhergeht, werden erste Symptome der Demenz meist als normal angesehen. Häufen sich jedoch die Ereignisse und erzeugen Verunsicherung bei den älteren Menschen sowie in deren sozialem Umfeld, so kann die zeitgerechte Diagnosestellung der Demenz hilfreich sein. Die frühzeitige Einleitung einer Therapie, eine vorausschauende Pflegeplanung sowie gemeinsame Absprachen zu Familienangelegenheiten werden dadurch möglich. Wichtig dabei ist, die Betroffenen und deren Angehörige nicht alleine zu lassen, sondern im Anschluss an die Diagnose professionell zu beraten und frühe Hilfen anzubieten. Denn trotz schwerwiegender Diagnose können viele Betroffene noch für etliche Jahre den Alltag selbstständig meistern und das bisher gewohnte Leben fortführen.

Ziel der Unterstützung in dieser ersten Phase sollte es sein, die Autonomie der Menschen mit Demenz so lange wie möglich zu erhalten.

Die Phase der Herausforderungen im Alltag – durch Unterstützung für Sicherheit sorgen. Lässt die Gedächtnisleistung des Menschen mit Demenz weiter nach und zeigen sich erste Schwierigkeiten in der Orientierung sowie im kommunikativen Austausch, so können sich unterstützende Maßnahmen als hilfreich erweisen. Diese sorgen dafür, den Alltag trotz Demenz gelingen zu lassen. Um gefährlichen Situationen vorzubeugen, bietet es sich etwa an, den Wohnraum altersgerecht zu adaptieren und mit technischen Assistenzsystemen auszustatten. Als hilfreich erweist sich in dieser Phase oftmals eine Hilfe im Haushalt und beim Einkaufen. Anzuraten ist in dieser Phase auch, das soziale Umfeld über die Demenzerkrankung des Angehörigen zu informieren und die Nachbarn für mögliche Hilfeleistungen zu sensibilisieren.

Schaut die Familie gemeinsam mit Freunden und Nachbarn in der Kommune darauf, dass es dem Menschen mit Demenz gut geht und der Alltag mit Unterstützung gemeistert wird, so kann in dieser Phase der Demenz für die notwendige Sicherheit gesorgt werden.

Die Phase zunehmender Symptome – durch Unterstützung die Aktivitäten des täglichen Lebens befördern. Sobald die Symptome einer fortgeschrittenen Demenz – wie zunehmender Verlust des Gedächtnisses, der Orientierung und der Sprache – die Selbstpflegefähigkeit des Menschen mit Demenz beinträchtigen, ist es wichtig, bedürfnisorientiert in den Aktivitäten des täglichen Lebens zu unterstützen. Aktive Hilfestellungen beim Waschen und Ankleiden oder das Erinnern daran, ausreichend zu trinken, sind nun mögliche Formen der Unterstützung. Hilfreich erweisen sich in dieser Phase auch das Anbieten vertrauter Speisen und gemeinsame Mahlzeiten. Rücksichtnahme auf die bisherigen Gewohnheiten, insbesondere beim Waschen, sind ebenso ratsam wie der Verzicht auf Handlungen, die Unsicherheit oder gar Angst erzeugen. In dieser fortgeschrittenen Phase treten beim dementen Menschen oftmals auch sozial herausfordernde Verhaltensweisen auf, die von den Angehörigen als belastend empfunden werden. Deshalb sollten die pflegenden Angehörigen auf sich achten und sich Hilfe und Unterstützung aus dem familiären sowie dem professionellen Umfeld holen. Wahnvorstellungen, Umherwandern, lautes Rufen oder sich wiederholende Bewegungen können so von den Angehörigen besser eingeordnet werden, was dabei hilft, dies nicht persönlich zu nehmen, sondern als Ausdruck von unbefriedigten Bedürfnissen zu verstehen. Externe Hilfen wie Tages- oder Kurzzeitpflege helfen dabei, den pflegenden Angehörigen eine Auszeit zu verschaffen.

Erfolgt die Unterstützung bei der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme bzw. der Gestaltung des Alltags bedürfnisgerecht und entlang der Gewohnheiten, so können in dieser Phase die Aktivitäten des täglichen Lebens beim Menschen mit Demenz gefördert und mittels einer professionellen Hilfe eine Überbelastung der Angehörigen vermieden werden.

Die Phase der schweren Demenz – mittels Komfort und personenzentrierter Pflege die Lebensqualität und Würde des Menschen mit Demenz erhalten. Gehen Sprache und Orientierung vollends verloren, werden verwandte Personen nicht mehr erkannt und treten Schluckstörungen sowie Bettlägerigkeit auf, so verändern sich die Ziele der Versorgung erneut. Das Aufrechterhalten der körperlichen Funktionen und das Komforterleben der Menschen mit Demenz stehen nun im Vordergrund der Versorgung. Oftmals hat nun auch schon ein Transfer ins Seniorenheim stattgefunden. Als hilfreich erweisen sich jetzt Pflegekonzepte, die sensorische Verfahren beinhalten, welche die Sinne anregen und dem Beziehungsaufbau dienen. So vermitteln etwa gezielte Berührungsangebote im Sinne der basalen Stimulation der dementen Person Nähe, Vertrauen und Sicherheit. Eine Umgebungsgestaltung mittels sanftem Licht, entspannender Musik und anregender Düfte kann dem Geborgenheitsgefühl und dem Komforterleben zuträglich sein. Die Konzepte Snoezelen und Namaste Care beinhalten entsprechende Anwendungen und tragen überdies dazu bei, mögliche Schmerzen und Agitiertheit zu senken sowie Appetit und Engagement zu heben. Ein personenzentrierter Ansatz in der Versorgung, bei dem professionell Pflegende empathisch sind und nicht immer nur auf die Symptome der Demenz, sondern vor allem auf den dahinterstehenden Menschen und dessen Bedürfnissen achten, trägt besonders in dieser Phase bei, die Würde des Menschen mit Demenz zu erhalten. Geht es dem Lebensende zu, so ist es auch bei Demenzkranken empfehlenswert, ein Palliative Care-Team unterstützend hinzuzuziehen, um unnötige Behandlungen und Krankenhauseinweisungen zu vermeiden und zu einem würdevollen Sterben beizutragen.

Steht bis zuletzt die Person im Vordergrund und wird mittels stimulierenden Formen der Versorgung  für Geborgenheit und Vertrautheit beim Menschen mit Demenz gesorgt, so kann bis zur terminalen Phase der Komfort für und die Würde des Menschen mit Demenz erhalten bleiben.

 

Mehr Informationen zum Forschungsprojekt PAiS finden Sie hier

 

Weiterführende Literatur:

... für Betroffene und Angehörige:

Geiger, A. (2012). Der alte König in seinem Exil. München: DTV.

Sifton, C. (2011). Das Demenz-Buch: ein "Wegbegleiter" für Angehörige, Pflegende und Aktivierungstherapeuten. Bern: Huber.

Swaffer, K. (2017). „Was zum Teufel geschieht in meinem Hirn?" Ein Leben jenseits der Demenz. Bern: Hogrefe.

Taylor, R. & Hergl, C. (2011). Alzheimer und Ich: "Leben mit Dr. Alzheimer im Kopf. Bern: Huber.

…für Fachleute:

Brooker, D., Kreutzner, G. & Hergl, C. (2008). Person-zentriert pflegen: das VIPS-Modell zur Pflege und Betreuung von Menschen mit einer Demenz. Bern: Huber.

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.). (2018). Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“. Osnabrück: DNQP.

Kitwood, T., Hergl, C. & Güther, H. (2019). Demenz: der person–zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Bern: Hogrefe.

Krutter, S. (2017). Palliative Care, Dementia Care und Schmerzmanagement in der Langzeitpflege. Überlegungen zur Integration der Versorgungskonzepte mit Blick auf die Angehörigen. Schmerz und Schmerzmanagement, 1(4), 11-15.

… und Forschende:

Bieber, A., Bartoszek, G., Stephan, A., Broda, A., & Meyer, G. (2018). Formelle und informelle Unterstützung der häuslichen Pflege bei Demenz: Eine Mixed-Method Studie im Rahmen des Actifcare Projekts. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 139, 17-27.

McCormack, B., & McCance, T. V. (2006). Development of a framework for person-centred nursing. J Adv Nurs, 56(5), 472-479.

Nagl-Cupal, M., Kolland, F., Zartler, U., Mayer, H., Bittner, M., Koller, M., Parisot, V., Stöhr, D., & Bundesministerium für Arbeit, S., Gesundheit und Konsumentenschutz (Eds.). (2018). Angehörigenpflege in Österreich. Einsicht in die Situation pflegender Angehöriger und in die Entwicklung informeller Pflegenetzwerke. Wien: Universität Wien.

Volicer, L. (2013). Palliative care in dementia. Progress in Palliative Care, 21(3), 146-150.

MMag. Simon Krutter, BA

Simon Krutter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insitut für Pflegewissenschaft und -praxis. Er koordinierte das Forschungsprojekt PAiS, studiert derzeit den PhD Nursing and Allied Health Sciences an der PMU und befasst sich dabei mit dem Phänomen der Angehörigenpflege bei Demenz.